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Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Titel: Memento - Die Überlebenden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianna Baggott
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jede Bedeutung für euch.«
    »Dann gib es her!«, verlangt einer der Mehrlinge.
    Eine Hand schießt vor und schubst die verhüllte Gestalt. Sie fällt zu Boden und lässt die Tasche fallen. Sie landet ein Stück weit entfernt. Wenn nichts Wichtiges darin ist, dann sollte der Junge sie den Mehrlingen jetzt überlassen. Sie können ziemlich bösartig werden, vor allem wenn sie betrunken sind.
    Die verhüllte Gestalt greift so blitzartig und geschickt nach ihrer Tasche, dass die Hand wie ein Pfeil wirkt, der aus ihrem Leib schießt und wieder zurückschnellt. Die Mehrlinge sind verwirrt ob dieser plötzlichen Aktion. Einige wollen zurückweichen, doch die anderen lassen sie nicht.
    Dann steht die verhüllte Gestalt auf – so unnatürlich schnell, dass sie stolpert, als wäre ihr Körper nicht im Gleichklang. Während der Junge um sein Gleichgewicht ringt, tritt ihm einer der Mehrlinge in den Magen, und dann dringen sie alle auf ihn ein, ein einziger massiver Leib.
    Sie könnten ihn umbringen, und Pressia hasst die vermummte Gestalt dafür, dass sie ihnen nicht einfach ihre Tasche überlässt. Sie kneift die Augen zu. Sie will sich da nicht reinziehen lassen. Soll er doch sterben, redet sie sich zu. Was geht es dich an?
    Doch dann öffnet sie die Augen und blickt hinaus auf die Straße. Auf der anderen Seite entdeckt sie ein Ölfass. Der Soldat hinter dem Steuer pfeift zum Lied aus dem Radio, während er weiterhin seine Nägel mit dem Messer traktiert. Und so nimmt Pressia ihren schweren Schuh – den Clog mit der Holzsohle – und wirft ihn mit aller Kraft gegen das Fass. Sie hat gut gezielt und landet einen Volltreffer. Es gibt einen lauten dumpfen Gong.
    Die Mehrlinge blicken auf, und in ihren tumben Gesichtern zeigen sich Verwirrung und Schrecken. Ist da etwa eine Bestie aus den Trümmerfeldern? Oder ein Trupp der OSR beim Kesseltreiben? Ist es ein Hinterhalt? Es wäre nicht der erste, das erkennt Pressia an der Art und Weise, wie ihre Köpfe herumrucken. Außerdem legen sie sich natürlich selbst auch in den Hinterhalt und überfallen andere.
    Die Ablenkung verschafft der vermummten Gestalt jedenfalls genügend Zeit, um sich hochzurappeln – langsamer, bedächtiger diesmal – und den Hügel hinaufzurennen, weg von den Mehrlingen. Sie rennt schnell, mit extremer Geschwindigkeit, auch wenn sie ein klein wenig humpelt.
    Aus irgendeinem Grund, den Pressia nicht versteht, rennt der Junge direkt auf den Truck der OSR zu, kriecht darunter und bleibt still liegen.
    Die Mehrlinge sehen ihm nach. Vielleicht zum ersten Mal bemerken sie den Truck, und mit widerwilligem Grunzen ziehen sie sich in die Richtung zurück, aus der sie gekommen sind.
    Pressia will der vermummten Gestalt eine Warnung zurufen. Sie hat ein Ablenkungsmanöver gestartet, um ihn vor den Mehrlingen zu retten, und das unter den Augen der OSR, und er kriecht unter ihren Truck?
    Die Soldaten kommen stampfend aus dem Haus.
    »Leer!«, ruft der mit dem Pitbull als Bein dem Fahrer zu.
    Die beiden anderen Soldaten klettern hinten in den Truck, der mit dem Hund steigt auf der Beifahrerseite ein. Der Fahrer packt sein Messer weg und nickt. Der andere Kopf hüpft über seiner Schulter. Der Motor heult auf, dann legt er den Gang ein und fährt davon.
    Pressia blickt hinterher und entdeckt ein Gesicht in der Heckscheibe – ein Gesicht, halb im Schatten verborgen, ein Gesicht voller Metallsplitter, mit einem Stück Klebeband über dem Mund. Ein Fremder. Noch ein halbes Kind, genau wie sie selbst. Sie tritt aus ihrer Deckung, macht einen Schritt auf den Jungen zu – sie kann nicht anders.
    Der Truck verschwindet um eine Ecke. Stille füllt die Gasse.
    Es hätte sie selbst sein können.
    Nachdem der Truck verschwunden ist, liegt die vermummte Gestalt mitten auf der Straße, ohne Deckung.
    Sie richtet sich auf. Ihre Kapuze ist heruntergerutscht, und Pressia sieht, dass es ein Junge ist. Ein Junge mit kurz geschorenen Haaren. Er ist groß und schlank, ohne jede Narbe, ohne jedes Mal in dem sauberen, bleichen Gesicht. Ein langer Schal rutscht ihm vom Hals und landet auf dem Boden. Er packt den Schal und die Tasche, benommen, verwirrt. Und dann stolpert er los, wie benommen, rückwärts gegen die Bordsteinkante. Er fällt, und es gibt ein lautes dumpfes Geräusch, als er mit dem Schädel auf dem Pflaster aufschlägt.
    Ein Reiner. Pressia hört in Gedanken die Stimme der alten Frau. Ein Reiner ist hier, mitten unter uns.

PARTRIDGE
    Schädel
    Hier. Jetzt. Atemlos.

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