Memiana 1 - Ewige Wacht: 1 Xeno 1.2 (German Edition)
der Wärme zu gelangen. Ihre Hand fuhr über die glatte, warme Oberfläche.
„Warum sind hier eigentlich in jedem Wall Salasteine?“, fragte sie.
Jarek schaute Yala an, um festzustellen, ob dies vielleicht weiteres kleines Spiel war, aber er konnte nur echte Neugier erkennen.
„Damit die Reisenden nicht frieren“, erklärte er.
Yala lachte mit ihrer dunklen Stimme und Jarek spürte, wie sich die Härchen auf seinem Rücken aufstellten. Er hörte dieses Lachen gern. Sehr gern. „Ich weiß, wozu Salasteine dienen, du Memo! Mein ganzer Raum in Vakasa war damit ausgekleidet. Es ist nur merkwürdig, dass sie noch hier sind. Ich meine, warum nimmt keiner die Steine weg? Sie sind doch wertvoll. Und hier gibt es keinen, der sie bewacht.“
„Niemand muss einen Wall bewachen. Keiner nimmt hier etwas weg. Sonst müssten alle Reisenden frieren.“
Yala und Carb sahen ihn fassungslos an und Adolo lachte kurz auf. „Ein Dieb kümmert sich doch nicht darum, was mit anderen Leuten geschieht“, sagte er.
„Willst du uns erzählen, hier gibt’s keine Diebe? Oder Räuber?“ Carb sah Jarek ungläubig an.
„Es gibt auch bei uns Räuber, die Reisenden auflauern“, erklärte Jarek. „Gerade jetzt in der Marktzeit haben wir Schwierigkeiten mit ihnen. Und nach dem Durchzug der Herde wird es noch schlimmer. Aber in einem Wall nimmt keiner etwas weg. Es müssten alle darunter leiden. Auch Räuber und Diebe. Ein Wall wird nicht angetastet. Es ist eine Regel, an die sich jeder hält.“
Hama nickte leicht, Carb und Yala dagegen wechselten Blicke, als hätte er ihnen gerade erzählt, Schadlinge könnten fliegen.
„Regeln.“ Yala löste das Stirnband, legte den Kopf in den Nacken, fuhr einmal durch ihre Haare und knüpfte den schmalen Riemen wieder fest. „Kein Mensch hält sich bei uns an irgendwelche Regeln“, sagte sie. „In der Stadt behältst du nur, was du verteidigen kannst. Wenn du deinen Wohnbau nicht bewachst, ist er nach dem nächsten Graulicht leer. Das weiß doch jeder.“
„Ich habe davon gehört“, sagte Jarek.
„Na also“, brummte Carb mit vollem Mund.
„Ich habe auch von fliegenden Menschen gehört“, sagte Jarek. „Und von Jägervölkern, die auf Großen Kriechern leben und mit ihnen über das Sandland reisen.“
„Die Geschichten kennt jeder“, meinte Adolo herablassend. „Das ist doch alles nicht wahr.“
„Woher weißt du das?“, fragte Jarek.
„Ich habe noch nie einen fliegenden Menschen gesehen.“
„Und ich war noch nie in einer großen Stadt. Woher soll ich also wissen, was nur eine Geschichte ist und was die Wahrheit?“
„Ja“, sagte Hama nachdenklich. „Das ist eine der ganz großen Fragen.“
„Aber ich habe in einer Stadt gelebt.“ Yala hatte sich auf den Rücken gelegt und schaute hinauf zu den Lichtöffnungen. „Du kannst mir glauben, Jarek. Dort geschehen Dinge, die kann sich kein Mensch ausdenken“, sagte sie leise.
„Aber in Vakasa gibt es doch auch Xeno. Kümmern die sich nicht um die Sicherheit?“
Yala machte eine wegwerfende Geste. „Die Xeno? Die bewachen die Stadtmauern und die Kontore. Sie versuchen zu verhindern, dass sich zu viele Menschen gegenseitig töten. Für so Kleinigkeiten wie Diebstahl haben sie kaum Zeit. Die reichsten Vakafamilien haben ihre eigenen Xenoclans, die für ihre Sicherheit sorgen. Und das war es schon. In Vakasa kümmert sich jeder nur um sich selbst. Damit hat er genug zu tun.“
Die anderen schwiegen eine Weile. Carb öffnete die Flasche, die er in der Hand hielt, und trank laut gluckernd ein paar Schlucke, verschloss das Gefäß wieder, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, unterdrückte nur knapp ein Aufstoßen und schaute dann Jarek wieder an. „Sag mal, Jäger, Wächter und Beschützer, was ist die größte Stadt, die du je gesehen hast?“
„Ich war zweimal in Ronahara“, antwortete Jarek.
Carb prustete laut. „Ronahara? Diese traurige Ansammlung von Höhlen drei Lichtwege pfadauf? Das nennst du eine Stadt? Wie viele Menschen leben denn dort?“
„Eintausendsechshundertsiebenundfünfzig“, sagte Jarek, ohne nachzudenken.
„Vakasa hat mehr als zweihunderttausend Bewohner“, erklärte Yala ruhig.
Es war eine Zahl, die Jarek kannte, aber er hatte nie versucht sich vorzustellen, wie eine solche Ansammlung von Bauten und Menschen wirklich aussah, wie sie sich anhörte, wie sie roch und schmeckte. Er sah Maro mit seinen weniger als tausend Bewohnern, sah, wie sich dessen Mauern erweiterten,
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