Menetekel
würde es erst richtig hoch hergehen. Gracies Satellitentelefon hatte gar nicht mehr aufgehört zu klingeln, und ihr Posteingangsfach quoll von Interviewanfragen und Bitten um einen Kommentar über.
Ein Experte nach dem anderen wurde ins Fernsehstudio gezerrt und um eine Erklärung gebeten. Physiker, Klimatologen, Wissenschaftler aller Fachrichtungen aus allen Winkeln der Erde. Keiner konnte es sich erklären. Keiner hatte eine plausible Erklärung parat, was viele spannend fanden, vielen aber auch Angst machte. Die theologischen Experten kamen besser weg. Der Glaube wartete mit Lesarten auf, die nicht mit einer Beweispflicht belastet waren. Priester, Rabbis und Muftis wurden in ihren Deutungen zunehmend mutiger. Eine Videoaufnahme zeigte einen baptistischen Pastor, der nach seiner Einschätzung gefragt wurde. Er wies zunächst darauf hin, dass Gläubige in aller Welt das Ereignis genau verfolgten, und antwortete dann mit einer Gegenfrage: Ob man es denn überhaupt anders als von Gott gesandt verstehen könne? Seine Sichtweise wurde von einer Anzahl anderer Interviewpartner geteilt – und gewann an Zustimmung. Nicht die Wissenschaft, der Glaube schien eine Erklärung zu bieten.
Gracie stemmte sich gegen den Wind der Rotorblätter und beobachtete, wie Dalton langsam aufstieg. Sie musste schmunzeln, als er ihr von oben zuwinkte, nur damit sieebenfalls winkte. Als leidenschaftlicher Filmer hielt er in der anderen Hand einen kleinen Camcorder und zeichnete jeden Moment der waghalsigen Prozedur auf.
Als Finch sich abwandte, folgte sie seinem Blick. Der Kapitän des Schiffes war zu ihnen getreten. Er sah kurz zum Hubschrauber hoch. Der Umstieg musste schnell vonstattengehen, da die Reichweite des Hubschraubers trotz zusätzlich angebrachter Tanks nur knapp ausreichte.
«Ich habe eben einen Anruf aus dem Pentagon bekommen», rief der Kapitän gegen den Lärm der Rotorblätter an.
Gracie sah zu Finch. Er war anscheinend genauso verblüfft und beunruhigt wie sie.
«Ich soll dafür sorgen, dass niemand das Schiff verlässt, bevor deren Leute hier sind.» Der Kapitän zeigte zu Gracie. «Vor allem auf Ihre Anwesenheit legt man Wert.»
Sie konnte es nicht fassen. «Was haben Sie ihnen gesagt?»
Der Kapitän grinste. «Dass wir hier mitten im Nirgendwo hocken und ich mir nicht vorstellen kann, wie irgendjemand hier wegkommen sollte.»
«Danke.» Sie strahlte ihn an.
Der Kapitän zuckte die Schultern. «Es war keine Bitte. Eher ein Befehl. Und ich kann mich nicht entsinnen, irgendeinem Militär verpflichtet zu sein.» Er schmunzelte. «Ich gehe davon aus, dass Sie einen Riesenwirbel veranstalten, falls man mich nach Guantánamo schafft.»
«Darauf können Sie sich verlassen.»
Er warf noch einen Blick in Richtung Hubschrauber, dann beugte er sich näher zu ihnen. «Außerdem werden wir mit Anfragen von Journalisten und Reportern aus aller Weltüberhäuft. Ich glaube, wir sollten die Kabinenpreise erhöhen und ein bisschen Profit aus der Sache schlagen.»
«Und was sagen Sie den Kollegen?», fragte Finch.
«Dass wir im Moment nichts frei haben.»
«Die werden nicht lockerlassen, wenn sie einigermaßen gut sind», erklärte Gracie.
«Ich weiß. Und es fällt mir nicht leicht, nein zu sagen, aber das hier ist ein Forschungsschiff. Ich möchte keine Kreuzfahrtgesellschaft daraus machen. Das Problem ist nur, dass wir hier draußen die Einzigen sind. Im Umkreis von ein paar hundert Meilen gibt es nur noch einen japanischen Walfänger und ein Greenpeace-Boot, das ihm im Nacken hängt. Beide dürften nicht sonderlich gastfreundlich sein.» Er funkelte Gracie aus seinen tiefliegenden, klaren Augen an. «Sieht ganz so aus, als hätten Sie die Story immer noch exklusiv.»
Sie erwiderte sein Lächeln. «Was soll ich sagen? Ich bin wohl ein Glückskind.»
«Es überrascht mich, dass Sie es so eilig haben, mein Schiff zu verlassen, wo alle anderen unbedingt an Bord wollen.»
Gracie warf einen verlegenen Blick zu Finch, dann grinste sie ihren Gastgeber an: «Genau darum sind wir ja besser als die anderen. Immer eine Nasenlänge voraus.»
Als wollte man ihr weitere Peinlichkeiten ersparen, senkte sich das Geschirr wieder herab, und jemand von der Crew half Gracie, es anzulegen. Sobald die Gurte festgezurrt waren, bekam der Mann oben an der Seilwinde einen Wink, und das Seil begann sich zu spannen.
«Vielen Dank für alles!», rief sie dem Kapitän zu. Es tat ihr leid, ihn nicht einweihen zu können.
Er winkte knapp. «Es
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