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Menetekel

Menetekel

Titel: Menetekel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Khoury
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nach Mitternacht geschafft hatte, sich von den Fernsehnachrichten und vom Internet loszureißen, hatte er ausgeschlafen und war am Morgen, während er sich über Waffeln mit Obst hermachte, die Zeitungen durchgegangen. Die gelassene Zufriedenheit, die ihn erfüllte, war ihm seit Jahren verwehrt geblieben. Ein Gefühl, das sich im Laufe des Tages hoffentlich noch verstärken würde.
    Jetzt saß er in der Connecticut Avenue in seinem Büro im neunten Stock, hatte den gepolsterten Lederstuhl von seinem großen Schreibtisch weggedreht, auf dem nur ein Laptop, ein Telefon und eine gerahmte Fotografie seines verstorbenen Sohnes standen, und sah auf die Stadt hinunter. Er war gern in der Hauptstadt. Es gab nichts Schöneres, als hier zu arbeiten und das Leben der Bürger des mächtigsten Staates der Erde und insofern auch das Leben der übrigen Bewohner der Welt mitzugestalten. Etwas anderes hatte er nie getan. Kurz nachdem er die Johns-Hopkins-Universität mit einem Diplom in Politikwissenschaftenverlassen hatte, hatte er angefangen, sich als Kongressmitarbeiter in der Hierarchie nach oben zu arbeiten. Zwanzig Jahre lang hatte er einer Handvoll Senatoren als politischer Berater und Stabschef gedient und sie dabei unterstützt, an Bekanntheit und Einfluss zu gewinnen. Gleichzeitig hatte er hinter den Kulissen in aller Stille an seiner eigenen Karriere gearbeitet. Positionen an vorderster Front, die ihm immer wieder angeboten worden waren, hatte er stets gemieden – obwohl es ihn schon gereizt hätte, die Nummer drei im Verteidigungsministerium zu werden. Den Capitol Hill hatte er erst verlassen, als ihm ein Angebot gemacht wurde, das er unmöglich ablehnen konnte: Er bekam die Gelegenheit, eine eigene, großzügig mit Mitteln ausgestattete Denkfabrik auf die Beine zu stellen, das Center for American Freedom.
    Das war genau das Richtige für ihn. Er war ein knallharter und einfallsreicher politischer Stratege, besaß einen gefährlich scharfen Verstand, hatte einen hervorragenden Blick für Details und ein außerordentlich gutes Gedächtnis. Aber er war nicht nur effektiv, er strahlte auch eine unbeschwerte, charmante Leichtigkeit aus, die seine Entschlossenheit, die Probleme des Landes anzupacken, gut maskierte.
    Und sein Wille, das Land zu gestalten, war in den letzten Jahren noch größer geworden. Horden ziviler Ratgeber hatten die Zügel der Innen- und Außenpolitik fest im Griff und wollten ihre Vision von Amerika verwirklichen. Ihr unverfrorenes Sendungsbewusstsein war für einen Vollblutpolitiker wie Drucker geradezu inspirierend, und ihre Methoden und Taktiken fand er atemberaubend.
    Am meisten beeindruckte ihn, wie sie das
Framing
einsetzten – eine Technik, bei der man komplizierte und kontroverse Themen vereinfachte, indem man in sie aussagekräftige, wohlklingende, emotionale Slogans und Metaphern goss, mit denen sich potenzielle Bedrohungen der eigenen Ziele ausschalten oder schwächen ließen.
Framing
, das Schaffen von Deutungsrahmen, war im neuen Jahrhundert regelrecht zu einer Kunstform erhoben worden. Worthülsen wie «Steuererleichterung», «Krieg gegen den Terror» und «Befriedungspolitik» waren inzwischen fest in der Psyche der Massen verankert. Sie drückten die richtigen emotionalen Knöpfe und brachten die Allgemeinheit zu der irrigen Überzeugung, dass jeder, der diese Wertmaßstäbe auch nur diskutieren wollte, per definitionem ein Schurke sein musste; jemand, der anständige Politiker daran hinderte, den hart arbeitenden Bürgern etwas Gutes zu tun; ein Feigling, der davor zurückschreckte, sich zu wehren, jemand, der nicht einmal gegen Hitler aufgestanden wäre.
    Framing
funktionierte. Niemand wusste das besser als Keenan Drucker. Und nun würde er endlich selbst ein paar Deutungsrahmen installieren.
    Er sah auf die Uhr. Für den späten Vormittag war kurzfristig eine Besprechung mit allen erreichbaren führenden Mitgliedern des Centers angesetzt worden, um die unerklärliche Erscheinung über dem Schelf zu diskutieren. Mit einigen von ihnen hatte er bereits am Telefon gesprochen, und sie waren verständlicherweise ebenso aufgeregt wie beunruhigt.
    Den Morgennachrichten zufolge war das Projekt gut angelaufen, von der kleinen Komplikation in Boston einmal abgesehen. Sie bereitete Drucker keine Sorgen. Er vertraute darauf, dass Bullet das in Ordnung brachte.
    Sein Blackberry meldete sich.
    Drucker lächelte und ging ran.
Wenn man vom Teufel spricht
… Nie war die Redewendung passender

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