Mensch, Martha!: Kriminalroman
hingeredet?«
»Nein, so was tut sie nicht.
Papa musste herhalten. Nach deinem Anruf ging es darum, dass ein Kind
kein Paket ist, das man irgendwo abstellt.«
Martha fühlt einen dumpfen
Druck im Bauch. Sie schleudert die Zigarettenkippe auf die Straße,
was sie sonst nicht macht.
Barbara bemerkt die Veränderung
bei ihrer Schwester. »Ich hätte es dir nicht sagen sollen!«
»Doch, doch!« Martha schließt
das Fenster. »Wie ging’s Rebekka gestern?«
»Ach die, die hat’s locker
genommen. Ich hab sie ins Bett gebracht, ihr den Rücken
gekitzelt, dann hat sie mir drei Kapitel Pippi Langstrumpf aus den
Rippen geleiert.«
Barbara, ich liebe dich .
»Schwesterherz, iss mit uns zu Abend. Dann bringe ich Rebekka zu
Bett. Ich hab eine Flasche Rotwein gekauft.«
Sie essen Rühreier mit Schinken und Rebekka
besteht darauf, dass Martha sich zu ihr ins Bett legt und eine
Geschichte von früher erzählt. Martha erzählt Rebekkas
Lieblingsgeschichte. Wie sie nach Utes Geburt versuchte, Ute im
Krankenhaus gegen einen Jungen auszutauschen, weil sie sich so
sehr einen Bruder gewünscht hatte. Rebekka kichert und lacht.
Dann darf Martha gehen.
Barbara liegt auf dem Sofa. Sie
hat doch Grönemeyer aufgelegt. Martha holt Wein und Gläser.
»Woher hast du denn die
schönen Blumen? Selber gekauft?«
Martha hat Mühe die
Weinflasche zu entkorken. »Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sich
selber mit Blumen beschenken. Sie sind von Thomas«, sagt sie,
während sie mit aller Kraft am Korkenzieher zieht.
»Das ist der nette Polizist
mit den schönen Augen? Der im Februar mit uns auf der
Hütte war?«
»Hat er schöne Augen?«
Martha gießt Wein in die Gläser.
»Wenn ich mich recht erinnere,
ja. Manchmal tanzten Pünktchen in seinen Pupillen.«
»Hä?« Martha fischt
Korkenreste aus ihrem Glas. Ich hab noch nie Pünktchen in seinen
Pupillen tanzen sehen. Bilder tauchen in ihr auf. Wie er sich
kaum mehr auf den Beinen halten kann. Wie er sich übergibt. Wie er
sich schämt wegen des vollgespuckten Bettes.
Martha und Barbara stoßen an.
»Auf uns!« Der Wein hat eine leichte Brombeernote.
»Also, im Moment ist es
jedenfalls so, dass bei Thomas überhaupt nix tanzt. Es hat ihn
übel erwischt. Er hat einen schlimmen Zahn.«
»Und der schenkt dir Blumen?«
Barbara wedelt vielsagend mit der Hand und zwinkert mit dem linken
Auge. »Läuft da was?«
»Ach Quatsch! Wir sind
Kollegen. Was soll da laufen? Du bist schon wie Mama!«
»Nein, Mama würde anders
reagieren. Es wäre für sie der ultimative Alptraum: ein
weiterer Polizist in der Familie.«
Martha lässt den Wein in ihrem
Glas kreisen. Ein guter Grund, mit ihm anzubändeln.
»Hat er seine Scheidung
inzwischen überwunden?« will Barbara wissen.
»Gestern gab er mir seinen
Geldbeutel zum Bezahlen. Da steckt immer noch ein Foto von seiner
Frau drin. Es ist ganz zerknittert.«
»Das ist bitter.«
»Ehrlich gesagt, ich habe
keine Ahnung, wie es in ihm aussieht. Wir reden nicht über so was. –
Ich soll dich jedenfalls von ihm grüßen!«
»Grüß ihn auch.« Barbara
gähnt und streckt sich. »An was arbeitest du zur Zeit?«
wechselt sie das Thema.
Martha raucht. Sie wird das
Fenster die ganze Nacht offenstehen lassen. »Es ist kompliziert,
Barbara. Es hat mit Kindern zu tun.«
»Oh je! Sag mal – und der
Kinderarzt vorgestern – das ist aber keiner von diesen Pädophilen?«
»Warum interessiert dich das?«
»Ich hab ihn reingelassen.«
»Es ist saukompliziert.«
»Aber pädophil ist er nicht?«
bohrt Barbara weiter.
»Ich glaube nein.«
»Dann war es ein Bluff,
Martha. Ein ziemlich fieser!«
Ach was! Es war ein
Volltreffer!
Martha und Barbara legen sich
nebeneinander auf das Sofa. Es ist dunkel im Zimmer. Sie machen kein
Licht an, das Licht der Straßenlaternen reicht ihnen völlig.
Herbert Grönemeyer ist in der
Repeat-Falle gefangen und stellt zum wiederholten Male fest: Momentan
ist richtig – Momentan ist gut.
Die Weinflasche ist geleert,
aber Martha hat im Kühlschrank noch eine Flasche Sekt. »Passt das?«
überlegt sie.
»Heute passt alles.«
Sie trinken Sekt aus
Rotweingläsern. »Weißt du, worüber ich nachdenke?« sagt
Barbara plötzlich.
»Deine Zunge wird schon
schwer«, stellt Martha fest.
»Aber mein Verstand ist
glasklar.«
»Also, worüber denkst du
nach?«
Und der Mensch heißt Mensch,
weil er vergisst, weil er verdrängt.
»Wenn ich mal wieder einen
mag, soll ich ihm das sagen? Das, was ich da am anderen Ende der Welt
in einem
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