Mensch, Martha!: Kriminalroman
Klappern nach unten auf die Straße.
Rebekka drückt sich gegen
Marthas Rippen. Sie kann nicht mehr voll durchatmen.
Zwei Streifenwagen fahren vor.
Einer der beiden auf dem Dach
liegt nun und wird vom anderen mit den Füßen traktiert. Dann
erkennt sie Thomas auf dem Dach. Er fordert Zeller auf die Hände
hoch zu nehmen. Thomas richtet die Waffe auf die stehende Person,
doch sie reagiert nicht. Er wiederholt seine Aufforderung und nähert
sich den beiden.
Zwei uniformierte Polizisten
stürmen zum Haus. Ein anderer steht neben Marthas Wagen und fragt
durch das offene Wagenfenster: »Ist bei Ihnen alles in
Ordnung?« Martha erkennt den jungen Polizisten von vorhin.
»Ja, ja!« sagt sie abwesend.
Sie starrt nach oben auf das Dach.
Die Uniformierten tauchen dort
auf und richten ihre Taschenlampen auf die Szenerie.
Radspieler rappelt sich hoch.
Thomas steht dicht bei ihnen. Der andere macht eine Bewegung, als
wollte er angesichts der Polizeiwaffe der Aufforderung folgen
und die Hände heben. In Zeitlupentempo nimmt er sie nach oben
und aus dieser Bewegung heraus stößt er Radspieler über die
Dachkante.
Marthas Herz setzt aus. In
guten Filmen kann der Bedrängte sich an einer Dachrinne festklammern
und halten, bis ein beherzter Retter zur Hilfe eilt. Das Leben ist
kein guter Film.
Radspieler fällt zwei
Stockwerke nach unten. Er schlägt mit dem Rücken auf dem
Steifenwagen auf. Das Geräusch Mensch auf Blech ist grauenhaft. Die
Heckscheibe birst. In Zeitlupentempo rutscht er kopfüber über
Heckscheibe und Kofferraum auf das Straßenpflaster. Der
junge Polizist steht drei Schritte entfernt. Er will ihn auffangen,
ist aber einen halben Schritt zu langsam. Marthas Herz klopft in
einem abnormen Rhythmus weiter. Sie schlägt die Hand vor den Mund,
um nicht zu schreien.
Der Mann auf dem
Dach ist überwältigt und Martha glaubt, Frank Zeller zu erkennen,
aber ihre Aufmerksamkeit gilt nicht ihm.
Da
sie weiß, dass Rebekka nie und nimmer alleine im Wagen
bleiben wird, schleppt sie ihre kleine Tochter wie eine Puppe mit.
Sie spürt Rebekkas Atem am Bauch. Sie hört ein Martinshorn. Lieber
Gott! Schick einen Sanka! Zwei Sanitätsfahrzeuge kommen mit
Blaulicht und abgeschaltetem Martinshorn die Straße entlang.
Thomas und der junge Polizist sind inzwischen bei Radspieler,
der regungslos am Boden liegt. Thomas schlüpft aus seinem
Mantel und legt ihn über Radspieler. Nicht den Kopf! Deck nicht
den Kopf zu!
Martha beugt sich über
Radspieler. Sie kann nicht sehen, ob er lebt oder tot ist. Er blutet
aus Nase, Mund und Ohr. Ein Mann mit Notarztjacke schiebt sie
beiseite. Er leuchtet in Radspielers Auge.
»Mama, was ist da draußen
los?« fragt Rebekka unter Marthas Pullover. Martha hält den
Pullover fest. Rebekka soll nicht sehen, was passiert ist. »Ist
alles in Butter?«
»Ist das Kind verletzt?«
fragt ein Sanitäter.
Martha hört es nicht. Ihre
fünf Sinne sind auf standby geschaltet bis zu dem Augenblick, als
der Notarzt seine Arbeit aufnimmt und Martha begreift, dass
Radspieler lebt. Er prüft Herzschlag, legt eine Atemmaske an, gibt
knappe Anweisungen an die Sanitäter.
»Nein, ich glaube nicht. Nein,
nein. – Sie ist in Ordnung«, sagt Martha mechanisch, als der
Sanitäter seine Frage wiederholt.
Dann geht alles sehr schnell.
Radspieler wird auf eine Trage gehoben, festgeschnallt und in
einen Sanitätswagen geschoben. In guten Filmen dreht sich
der Notarzt um und sagt zu den Umstehenden: Er wird durchkommen! Hier sagt der Notarzt nichts. Er steigt wortlos hinten in den
Wagen ein. Martha findet unter dem Pullover Rebekkas Ohren und hält
sie zu. Doch der Fahrer verzichtet auf das Martinshorn, bis er die
Hauptstraße erreicht hat.
Martha nimmt die ganze Szenerie wahr, als würde
sie durch blaue Glasbausteine blicken. Thomas redet mit den
Polizisten; ein Sanitäter will was von ihm. Zeller – es
ist tatsächlich Zeller – trägt Handschellen und wird in ein
Polizeifahrzeug verfrachtet. Ein Polizist führt Martha zu einem
Polizeikombi. Wo kommt plötzlich dieser Kombi her? Er
bittet sie einzusteigen. Rebekka trägt sie mit. Der Sanitäter
von vorhin nimmt einen neuen Anlauf. »Wir würden uns das Kind gerne
mal ansehen.«
»Das geht nicht. Wirklich
nicht. Ich denke, sie ist okay.«
»Sind Sie die Mutter?«
»Ja.«
»Wir möchten auf Nummer
sicher gehen. In einem Krankenhaus ...«
»Nein, auf keinen Fall!« sagt
Martha bestimmt. Der Sanitäter tut ihr fast ein bisschen leid. Er
will gute Arbeit
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