Menschenfänger
mit.
8
Peter Nachtigall und Albrecht Skorubski fiel die Aufgabe zu, Frau Beyer, Evelyn Knabes Mutter, über den Tod ihrer Tochter zu informieren. Sie waren sich inzwischen ziemlich sicher, dass es sich bei der Toten um die Mieterin der Wohnung gehandelt hatte – und der Brief aus dem Schlafzimmer ließ kaum mehr Zweifel an dem zu, was sich in den Räumen abgespielt haben musste.
Albrecht Skorubski parkte in der Eilenburger Straße, und sie betraten den frisch renovierten Wohnblock, als ein anderer Mieter ihn gerade verließ.
»Was sollen wir ihr nur sagen? Irgendwie müssen wir ihr klar machen, dass sie ihre Tochter nicht mehr identifizieren kann. Wie sie gestorben ist, wissen wir auch nicht – nur, dass wir von Selbsttötung ausgehen. Hoffentlich reagiert sie nicht hysterisch«, meinte Nachtigall besorgt.
»Ja, das ist wirklich besonders schwierig. Sie wird sich nicht einmal von ihrer Tochter verabschieden können.«
Auf ihr Klingeln erschien eine große, stämmige Frau mit derbem Knochenbau an der Tür. Die schlohweißen Haare hatte sie im Nacken zu einer üppigen Rolle gesteckt, ihre hellgrauen Augen wirkten misstrauisch, und sie sah die beiden Fremden vor ihrer Tür irritiert an.
»Ja?«, fragte sie unterkühlt.
»Kriminalpolizei Cottbus. Mein Name ist Nachtigall und dies ist mein Kollege Skorubski. Dürfen wir reinkommen?«
Zunächst überprüfte Frau Beyer die Ausweise gründlich, dann gab sie den Weg in ihre Wohnung frei und führte die beiden Ermittler in ein kleines Wohnzimmer, das von einer dunkelgrünen Sitzlandschaft dominiert wurde. An der gegenüberliegenden Wand stand eine schwere Kommode aus dunkelbrauner Eiche, auf der ein Fernseher laut die Ergebnisse einer Quizrunde im Raum verbreitete. Frau Beyer schaltete das Gerät aus. Die einsetzende erwartungsvolle Stille empfand Nachtigall als ausgesprochen belastend.
»Frau Beyer, wir haben leider eine schreckliche Nachricht für Sie. In der Wohnung Ihrer Tochter wurde eine Tote gefunden. Wir müssen davon ausgehen, dass es sich dabei um Ihre Tochter Evelyn handelt.« Er hörte selbst, wie eigenartig diese Eröffnung klang.
Frau Beyer reagierte unerwartet gefasst. »Evelyn ist also tot, ja?«
»Wir gehen davon aus.«
»Heißt das, Sie können sie nicht identifizieren?«, ihre Augen sahen ihn traurig an.
Peter Nachtigall schluckte und nickte dann stumm.
»Sie ist vor ungefähr 14 Tagen gestorben.«
Sie schwieg einen Moment und starrte auf ihre klobigen Hände.
»Wie ist es passiert?«, fragte sie dann leise.
»Das wissen wir noch nicht. Tut mir leid. Wann haben Sie Ihre Tochter zum letzten Mal gesehen?«
»Am vorletzten Samstag. Sie kam, um sich zu verabschieden, weil sie in Urlaub fahren wollte. Ich habe mich darüber gefreut – sie hatte schon seit Jahren keine Reise mehr gemacht – ich wertete es als gutes Zeichen und war froh, dass sich ihr Zustand offensichtlich gebessert hatte. Aber in Wahrheit wollte sie wohl nur in Ruhe sterben.«
»Sie glauben, Ihre Tochter hat sich selbst getötet? Hatte sie Probleme?«, fragte Peter Nachtigall, überrascht von der Offenheit der Mutter.
»Depressionen. Schon seit Jahren. Evelyn kam mit dem Leben nicht klar und mit sich selbst nicht ins Reine. Vielleicht hat es nach dem Tod ihres Vaters vor zehn Jahren begonnen. Er starb an Krebs – es war ein langer, schmerzvoller Abschied. Danach jagte bei Evelyn eine Therapie die andere. Medikamente sollten alles wieder ins Lot bringen. Aber entweder hat sie die nicht genommen oder sie haben nicht gewirkt.«
»Es wurde nicht besser.«
»Ich konnte jedenfalls keine eindeutige Veränderung ihres Zustands feststellen.«
»Würden Sie Ihr Verhältnis zu Ihrer Tochter als eng bezeichnen?«
»Das ist schwieriger zu beantworten, als Sie vielleicht vermuten.« Sie seufzte schwer. »Es ist nicht leicht, zu einem Menschen wie Evelyn etwas wie Nähe aufzubauen. Depressive bewerten viele Dinge anders als Sie oder ich. In Evelyns Augen war die Welt schlecht, und alle hatten sich gegen sie verschworen. Zum Beispiel auch die Kassiererin im Supermarkt, die ihr zehn Cent zu wenig herausgegeben hatte, weil man sich ihr gegenüber so etwas herausnehmen durfte, sie konnte sich eben nicht wehren. Manchmal war sie durchaus gesprächig – erzählte von echten Problemen oder jammerte vor sich hin. Über belanglose Dinge. Dann wieder konnte sie hier den ganzen Nachmittag bei mir sitzen und so gut wie kein Wort sagen – da war sie manchmal unerreichbar fern. Mir erscheint
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