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Menschenfänger

Menschenfänger

Titel: Menschenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Steinhauer
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immer glaubt – ich schnüffle nicht uneingeladen. Dann hätte mir Frau Lehmann doch niemals ihren Schlüssel überlassen.«
    Nachtigall schmunzelte. Es war schon sehr lange her, dass jemand ihn als jungen Mann bezeichnet hatte. Er nickte der alten Dame zu und betrat die Wohnung in der Erwartung, eine schreckliche Entdeckung zu machen.
    Doch die Wohnung war leer.
    Auf dem Küchentisch lag ein Schlüsselbund mit einem riesigen orangefarbenen Gummibärchenanhänger.
    Franka Lehmann war verschwunden.

34
    Hildegard Clemens legte sich zur Beruhigung eine Patience. Nervös trommelten die Finger der linken Hand einen hektischen Rhythmus, während sie wütend auf die Karten starrte.
    Ihre Großmutter, die sich selbst als Hexe und Deuterin bezeichnete, hatte ihr gezeigt, wie man durch das Legen eines Solitaire-Decks Antworten auf drängende Fragen erhalten konnte.
    Sie drehte die letzte Karte um.
    Scharf sog sie die Luft ein.
    Es ging nicht auf!
     
    Natürlich konnte sie die Karten mischen und einfach neu beginnen. Die Frage etwas umformulieren – vielleicht war sie zu kompliziert gewesen und das Spiel konnte sie gar nicht wirklich beantworten. Nein, beschloss sie dann, das wäre unsportlich. Eine solche Sitzung war schließlich nicht dazu gedacht, ein und dieselbe Frage neu verpackt so lange zu stellen, bis die Karten ein Einsehen hatten und das gewünschte Ergebnis lieferten.
    Sie würde es akzeptieren müssen.
    Die Antwort war: »Nein«.
    Hildegard Clemens schob die Karten zusammen und formte einen stabilen Block, den sie in eine mit rotem Samt ausgeschlagene Holzkiste legte.
    Ein raues Lachen stieg in ihr auf.
    Wer glaubte schon daran, dass Karten die Zukunft kannten oder Antworten auf persönliche Fragen geben konnten! Erdmute glaubte an ihre Tarotkarten – aber das war auch etwas vollkommen anderes!
    Ihre Karten waren ganz normale Spielkarten – ohne jede magische Fähigkeit! Bunt bedrucktes Papier! So ein Blödsinn, sich von einer Patience ins Boxhorn jagen zu lassen! Du benimmst dich schon wie ein dummer, verliebter Teenie, schalt sie sich. Erinnere dich daran, dass du schon seit vielen Jahren erwachsen bist!
    Klaus Windisch hatte mit den Morden nichts zu tun. Basta! Da konnten die Karten hundertmal etwas anderes behaupten. Das Wort ›unschuldig‹ hatte eine zu vielschichtige Bedeutung – da konnten die Karten sich nur täuschen! Klaus würde sie nie belügen, dazu war ihr Verhältnis viel zu sehr von Vertrauen geprägt. Er wusste schließlich, dass es nichts gab, was er ihr nicht erzählen konnte. Seine Ängste, Sorgen, Bedürfnisse waren bei ihr gut aufgehoben. Warm dachte sie an ihr letztes Gespräch. Er hatte gedacht, sie könnte ihm nicht glauben, weil die Wahrheit so fantastisch klang! Wollte ihr erst eine platte Erklärung anbieten. Völlig unnötig. Das hatte er dann auch schnell bemerkt und ihr reinen Wein eingeschenkt.
    Ihre Beziehung war eben etwas Besonderes, etwas, das den Horizont der anderen schlicht überstieg.
    Doch trotz all dieser vernünftigen Überlegungen blieb eine düstere Stimmung bei ihr zurück.

35
    Klaus Windisch war zufrieden.
    Es hatte alles hervorragend geklappt.
    Wie immer und wie es eigentlich auch nicht anders zu erwarten gewesen war.
    Er konnte es eben!
    Er wusste, wie es geht.
    Ganz Cottbus jagte ihn – und er hatte ihnen ein Schnippchen geschlagen.
     
    Und nun hatte er diese Frau ganz für sich, konnte sich mit ihr so viel Zeit lassen, wie er wollte.
    Es war für ihn spannend auszuprobieren, wie lange er sein Verlangen nach dem letzten Augenblick würde zügeln können – aber das würde er ja nun herausfinden können.
    Das Licht der Kerzen zauberte einen romantischen Schimmer auf Franka Lehmanns Gesicht. Musik, dachte er, Musik würde die Stimmung noch unterstreichen.
    Schade.
    Aber das war zu gefährlich.
     
    Er erinnerte sich an ihr Gesicht, als er die Wand des Schuppens gestrichen hatte. Die himmelblaue Farbe hatte beim Trocknen Blasen geworfen, an machen Stellen schimmerte der braune Untergrund noch durch und an anderen war sie in Bahnen Richtung Rasen gelaufen und in dicken Tropfen erstarrt. Der Pinsel hatte gehaart, doch das fiel ihm erst auf, als sie es ihm zeigten. Stolz präsentierte er die erste selbstgestrichene Wand seines Lebens. Gut sah sie aus, ihm gefiel sehr, was ihm gelungen war. Doch sie starrten nur sprachlos auf den Schuppen, den Jungen, dem die Farbe die Arme bis fast zu den Schultern hinabgelaufen war, und schüttelten betrübt den Kopf. Dann

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