Mercy, Band 2: Erweckt
auf Cecilia hinter der Kaffeemaschine. „Raus da.“
Cecilia und ich wechseln einen Blick, bevor sie hinter der Theke hervorkommt und zögernd vor der Heißtheke stehen bleibt.
„Sie da“, faucht der Zwerg Reggie an, die gerade zur Tür hereinkommt und mehrere Einkaufstüten in der Hand schwenkt. „Machen Sie sofort die Tür zu und hängen sie das ‚Geschlossen‘-Schild raus. Hier kommt keiner mehr rein oder raus.“
„Moment ma l …“, stößt Ranald hervor, der gerade gehen will, die Computertasche über der Schulter. „Ich muss hier raus. Bin sowieso schon zu spät dran.“
„Hinsetzen“, kommandiert der Zwerg und bohrt einen Finger in die Tischplatte.
Ranald lässt sich nicht gern herumkommandieren, das sieht man ihm deutlich an. Aber irgendwie macht ihn der Tonfall des Zwergs gefügig. Er sinkt mit finsterer Miene auf einen Stuhl und klemmt seine Computertasche zwischen die Füße.
Reggie hingegen lässt sich nicht einschüchtern. „Sind Sie von allen guten Geistern verlassen, Franklin Murray?“, faucht sie ihn an. „Nur weil Sie jede Woche Ihren Hähnchensalat bei mir bestellen, haben Sie hier noch lange nicht das Recht, den starken Mann zu spielen und so ’ne Nummer abzuziehen.“
Franklin hatte schon beinahe Angst vor der eigenen Courage bekommen, aber Reggies giftiger Ton heizt seine Wut wieder an. Die Panik in seinen Augen ist weg und sein Gesicht wird blass und grimmig. Er brüllt so laut, dass Reggie vor Schreck eine ihrer Tüten fallen lässt. „IHR SETZT EUCH ALLE HIN, UND ZWAR JETZT SOFORT, KLAR?“
„Ich rufe die Polizei“, faucht Reggie und packt ihre heruntergefallene Einkaufstüte an einem Henkel. „Treiben Sie’s bloß nicht zu weit!“
„Pass auf, dass du’s nicht zu weit treibst!“, kreischt Franklin und fuchtelt mit der geballten Faust vor Reggies Nase herum wie ein tobsüchtiges Rumpelstilzchen. „Und wage es nicht, mich herumzukommandieren, du herzlose Schlampe! Ich hab eine Pistole!“
Er zieht die Waffe aus der Innentasche seiner Anzugsjacke und richtet sie auf meine Schläfe.
Reggie wirft einen kurzen Blick auf die Waffe, dann schließt sie leise die Tür und dreht das Schild auf „Geschlossen“ um.
„Alle Rollos runter, los!“, befiehlt Franklin.
Reggie tut, was er sagt, ohne ein Widerwort. Der Zwerg wedelt mit seiner Pistole vor ihr herum und sie setzt sich an einen leeren Tisch. Die Einkäufe liegen unbeachtet im Eingangsbereich.
„Du da!“, schnauzt Franklin Sulaiman an. „Bist du dumm oder bloß taub? Los, geh da rein zu den anderen!“
Sulaiman gehorcht, aber er lässt sich Zeit. Er wirkt nicht eingeschüchtert, zeigt keine Gefühlsregung. Er ist ein Schrank von einem Mann, breit und über eins neunzig, während der Zwerg froh sein kann, wenn er mit Plateausohlen auf eins fünfundsechzig kommt.
„SETZEN!“, brüllt Franklin den Koch nervös an.
„Ich steh aber lieber“, brummt Sulaiman und wischt sich die Hände an der Schürze ab, dann zieht er die Kochmütze von seinen kurzen schwarzen Locken herunter.
„Ich zieh ihr eins über“, droht Franklin und deutet mit dem Pistolenlauf auf mich.
Sulaiman wirft mir einen scharfen Blick zu, nimmt einen Stuhl und setzt sich langsam hin. Quietschend rückt er den Stuhl zurück, um Platz für seine Beine zu schaffen. Dann knallt er herausfordernd seine Mütze vor sich auf den Tisch.
Franklin scheucht mich triumphierend zu dem Stuhl zurück, von dem ich gerade aufgestanden war, und stößt mich grob darauf. Und plötzlich durchfährt es mich. Eine Energie, zugleich heiß und kalt, die mir die Haare sträubt, ein Sirren, wie Essig in meinen Knochen.
Ich reiße den Kopf herum, blicke mich nach der Quelle dieser Empfindung um und finde einen wandernden Lichtfleck, der in der Nähe der Klimaanlage über die Wand huscht. Im nächsten Moment flitzt er über die Kaffeemaschine und verliert sich in der hell erleuchteten Heißtheke, im spiegelnden Chrom der Stuhlbeine und Stuhllehnen.
Der Malakh ist hier bei uns im Raum und niemand außer mir hat ihn bemerkt. Die wirkliche Welt und die andere, unsichtbare, gehen unmerklich, lautlos ineinander über.
Franklin fuchtelt stumm mit seiner Pistole vor Cecilia herum. Sie rutscht auf einen leeren Stuhl und schlingt schützend die Arme um sich.
„Was soll das? Was haben Sie mit uns vor?“, ruft Ranald. „Ich werde in meiner Firma vermisst, verstehen Sie? Bei mir sind Sie an den Falschen geraten!“
„Ach, hör auf, du Würstchen! Du bist doch nur
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