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Mercy, Band 4: Befreit

Mercy, Band 4: Befreit

Titel: Mercy, Band 4: Befreit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Rothfuss
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sind. Eine Sekunde später ist der Spuk vorbei.
    Am liebsten wäre ich sofort hinterhergerannt. Aber ich beherrsche mich. Nein, jetzt noch nicht. Erst wenn ich mir ganz sicher bin.
    Ich sage Ryan, dass er auf mich warten solle, und gehe langsam zu der Frau zurück, die mit dem Gesicht nach unten auf dem Pflaster liegt. Als ich mich neben sie knie und sie umdrehe, stelle ich erleichtert fest, dass sie noch atmet. Ich lege meine Hände auf ihr kalkweißes Gesicht und sie schlägt röchelnd die Augen auf. Ihre Panik, das weiß ich, spiegelt sich in meinen eigenen Augen wider.
    Die Frau blickt zu mir auf, als ich ihren Kopf vom Boden hochhebe. Ihre blauen Augen sind jetzt wieder klar, aber sie wirken riesig in dem blassen Gesicht. „Wo bin ich?“, fragt sie auf Italienisch, und als ich ihr sanft in ihrer Muttersprache antworte, sagt sie verwirrt: „Aber was mache ich hier?“
    Der Zwischenfall ist nicht unbemerkt geblieben und nun eilen von beiden Straßenseiten Leute herbei. Ich überlasse die Frau den wild gestikulierenden Passanten und gehe zu Ryan zurück, der sich nicht von der Stelle gerührt hat, sondern mit gesenktem Kopf dasteht, die Hände in den Jackentaschen, breitbeinig, damit er nicht umkippt. Er ist ein Bild des Jammers und ich drücke ihn schnell an mich.
    Die Malachim sind stumpfe Werkzeuge, ganz anders als die Elohim, die hoch über ihnen stehen. Sie gehören zu den niederen Engelswesen, die dazu erschaffen wurden, uns zu dienen, unsere Aufträge zu erfüllen. Malachim hinterlassen unweigerlich Zeichen, die wir Elohim entziffern können. Der Körper der dunkelhaarigen Frau trug ein solches Zeichen, das eindeutig von derselben gequälten Kreatur stammt, der ich schon als Lela begegnet bin, dann wieder als Irina – ein Wesen, das einst engelhaft war und jetzt nur noch ein Wrack ist. Spürt mich der Malakh noch irgendwie, obwohl er so geschwächt ist? Er ist nach Mailand gekommen, um mir eine Botschaft von Michael zu überbringen, der mich vor Luc warnen wollte. Welche Warnung bringt der Malakh mir jetzt?
    Kaum dass ich mit Ryan in die Via Victor Hugo einbiege, habe ich wieder ein Déjà-vu. Prompt schnellt mein Blick zu der Fassade eines dreistöckigen grauen Steingebäudes auf der anderen Straßenseite empor. Angestrengt studiere ich das Dach des Palladio-Baus, halb in der Hoffnung, K’el dort oben zu erblicken, vor einem wilden Sturmhimmel, mit Wolken, so strahlend, dass sie das Tor zu einer anderen Welt sein könnten. Aber natürlich ist K’el nicht da. Der Himmel wölbt sich wolkenlos blau über uns, und ich muss die Angst, die mich plötzlich überkommt, tief in mir vergraben, wie das Licht, das ich weggesperrt habe, das Licht, in dem sich das innerste Wesen eines Elohim manifestiert.
    Und dann … Ich sehe sie, bevor sie mich entdeckt. Sie steht neben der Kühlerhaube einer schwarzen Limousine, die ich nur zu gut kenne. Der Wagen besitzt mehr Türen als jedes normale Auto und liegt tiefer am Boden, weil er gepanzert ist. Die Frau streitet mit jemandem herum, wie üblich, denn sie ist tough und unerschrocken, ein echtes Organisationsgenie, und es ist ihr Job, ihr tägliches Schicksal, sich gegen herrschsüchtige Irre zu behaupten. Der Bluterguss auf ihrem Gesicht ist noch dunkellila, und an ihrem Hals prangt ein hässlicher roter Striemen, der wie eine Brandwunde aussieht. Aber sonst wirkt sie erstaunlich fit, nachdem sie mit knapper Not das himmlische Feuergefecht in der Galleria überlebt hat.
    Ihr Blick fällt auf ein vorüberfahrendes Auto und dann weiten sich ihre Augen, als sie Ryan und mich auf der anderen Straßenseite stehen sieht. Ryan erkennt sie natürlich zuerst, weil ich ja eine Fremde für sie bin. In meiner jetzigen Gestalt hat sie mich noch nie gesehen.
    Ohne eine Sekunde zu zögern, kommt sie in ihrer megacoolen, nietenstrotzenden Bikerjacke um die Limousine herum, und ihr glänzendes, glattes Haar weht im Wind. Ungeduldig streicht sie es zurück und schreit: „Ryan? Ryan Daley?“
    Da Ryan nicht antwortet und nicht einmal den Blick hebt, schaut sie jetzt mich an, diesmal richtig, und fragt vorsichtig: „Mercy?“
    Wir überqueren die Straße und gehen zu ihr, und sie sagt dem finster dreinblickenden Gorilla mit Glatze und Anzug, den sie gerade angeschrien hat, dass er einfach warten solle, weil sie keine neuen Anweisungen habe. „Tut mir leid, so ist das nun mal.“ Dann kommt sie uns rasch entgegen und nimmt Ryans anderen Arm über die Schulter, ohne dass ich sie darum

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