Mercy - Die Stunde Der Rache Ist Nah
ob seine Ex-Frau tot oder lebendig war!
Zumindest wusste er jetzt einen Namen, hatte
einen Hinweis, wenngleich einen sehr unzuverlässigen. Er hatte den Nachmittag
in seinem Motelzimmer zwischen Fernseher und Laptop verbracht und die
Berichterstattung über Shana verfolgt. Archivbilder von ihrem vermögenden Ehemann
waren über die Mattscheibe geflimmert, und Bentz, der wusste, dass der Ehemann
immer an der Spitze der Liste mit Tatverdächtigen stand, hatte aufmerksam zugeschaut.
Doch echte Polizeiarbeit bestand aus mehr als
nur daraus, Nachrichten auf KMOL zu schauen oder Leland Mclntyre zu googeln,
und Bentz verspürte einen Anflug von Frust. Er hasste es, wenn ihm die Hände
gebunden waren. Nach Montoyas Anruf war er erleichtert gewesen, zumindest
einen weiteren Anhaltspunkt für seine Ermittlungen zu haben. Ramona Salazar.
Die Dämmerung war bereits hereingebrochen, im
Westen ging die Sonne unter. Der Lärm des San Diego Freeway hallte von den
Hügeln wider, als Bentz den Parkplatz des So-Cal Inn erreichte. Als er näher
kam, hörte er Wasser spritzen. Der Kakophonie aus Jauchzern, Schreien und Gelächter
nach zu urteilen, waren mehr als nur ein paar Kinder im Pool.
Unbestimmt nahm er wahr, dass der Wagen von
Spikes Herrchen fehlte. Er hinkte zu seiner Tür, sperrte auf und trat ein. Sein
Zimmer war genauso wenig einladend wie immer.
»Zu Hause«, sagte er sarkastisch, lehnte den
Gehstock an die Wand neben der Tür und ließ sein Essen auf den zerschrammten
Tisch fallen. Laut Montoya war Ramona Salazar vor etwa einem Jahr gestorben.
Bentz fuhr seinen Laptop hoch und packte ein Sandwich aus. Die »Kalifornienrolle«,
so der einfallsreiche Name, bestand aus einer Spinattortilla, bestrichen mit
einer Art Zitronen-Dijonsenf-Soße und gefüllt mit geräuchertem Truthahn aus
Freilandhaltung - was zum Teufel auch immer das in Wirklichkeit bedeutete -,
einer Scheibe Pepperjack-Käse, Avocado, Tomate und Sprossen. Alles ziemlich
fad, aber er bemerkte es kaum. Er ging seine E-Mails durch und stieß auf das Material,
das Montoya ihm hatte zukommen lassen. Bentz hoffte inständig, dass es sich bei
Ramona Salazar um die richtige Frau und den richtigen Wagen handelte. Er hatte
keinen Drucker, aber er schätzte, es im »Geschäftszimmer« des Motels versuchen
zu können, das aus nicht viel mehr als einem kleinen PC für die Gäste bestand,
welcher in eine Ecke des So-Cal-Inn-Büros hinter der Anmeldung gequetscht
war. Rebecca würde Dienst haben, und sie hatte ihm gestattet, den alten
Computer und Drucker jederzeit zu benutzen. Sofern sie da war und ihr Sohn
Tony nicht hinter ihrem Rücken online Computerspiele machte. Doch zunächst
einmal loggte er sich bei einer Suchmaschine ein und tippte Ramona Salazars
Namen, um sämtliche Informationen zusammenzutragen, die er über die Frau bekommen
konnte, einschließlich ihrer Todesanzeige. Was machte es schon, wenn er den
falschen Baum anbellte? Immerhin hatte er endlich eine Spur.
Maren sang wie die sprichwörtliche Lerche, ihr
Mezzosopran stieg zu den Dachsparren der kleinen Kirche in Hollywood empor.
Hayes konzentrierte sich auf das strahlende Gesicht seiner Tochter in den
Reihen von Miss Bettes Schülern, die ein Potpourri aus verschiedenen Melodien
zum Besten gaben und alte geistliche Lieder mit modernen Stücken aus den
Achtzigern und Neunzigern kombinierten. Hayes erkannte mehrere Titel von
Michael Jackson und ein paar von Elton John.
Nachdem der Chor mehrstimmig gesungen hatte,
trug jeder Schüler ein Solo auf der kleinen, altmodischen Bühne vor, die
aussah, als stammte sie direkt aus den Kulissen von Unsere kleine Farm.
Hayes war verspätet in die kleine Kirche
geschlüpft, hatte sich einen vorwurfsvollen Blick von Delilah eingefangen und
sein Handy auf lautlos gestellt. Dann hatte er hingebungsvoll seiner Tochter
gelauscht, die - zumindest seiner Meinung nach - alle anderen übertraf. Die
Sänger wurden alle von derselben statuenhaften Afroamerikanerin unterrichtet,
die jeden von ihnen auf dem Klavier oder mit der Akustikgitarre begleitete.
Hayes ließ die einzelnen Darbietungen über sich ergehen. Alle Kinder konnten
gut singen, aber keins durfte darauf hoffen, es weiter als in die erste Runde
von American Idol zu
schaffen, ganz egal, was ihre stolzen, lächelnden, selbstzufriedenen Eltern in
den Kirchenbänken dachten. Nun, alle außer Maren natürlich. Sie war der Star.
Hayes vermutete, dass er genauso schlimm war wie all die anderen stolzen Mamas
und Papas,
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