Mercy - Die Stunde Der Rache Ist Nah
San ...
San Michelle.« Nein, das stimmte nicht. Wie zum Teufel war doch gleich der
Name? »Nein ... nein. Warte!« Sie schnippte mit den Fingern, als es ihr
schließlich einfiel. »Mission San Miguel, das war's! Es war ihr ganz besonderer
Ort. Dort waren sie beim allerersten Mal, als sie ... du weißt schon ...
schwanger geworden ist, und dann noch einmal, als sie ihre Affäre wieder
aufgenommen hatten.« Sie sah den Abscheu, den Bentz so mühsam zu verbergen
versuchte, und verspürte eine erregende Genugtuung.
Der Trottel hatte eine Dosis kalter, harter
Realität verdient, schließlich war er der Grund dafür, dass Jennifer so durch
den Wind gewesen war. Seine ständige Abwesenheit hatte sie in die Arme eines
anderen Mannes getrieben. Shana beugte sich ein wenig vor und sagte mit einem
heiseren, theatralischen Flüstern: »Es hat schon eine gewisse Ironie, dass
Vater James ein Mann Gottes war. Ich schätze, er schlief mit Jennifer und brach
sämtliche Gelübde, und anschließend eilte er in den Beichtstuhl und befreite
sich von all seinen Sünden.« Sie rümpfte die Nase. »Ich bin nicht katholisch,
aber so läuft das doch, oder?«
»Keine Ahnung.« Bentz schien sich im Geiste eine
Notiz zu machen. »Sonst noch ein Ort?«
»Oh, ich glaube, es gab da ein kleines, nicht
näher genanntes Motel drüben in der Figueroa Street, irgendwo bei der
University of Southern California, aber ich bin mir nicht sicher.« Vielleicht
erzählte sie ihm zu viel. Vielleicht sollte sie besser den Mund halten. Nichts,
was sie sagte, würde Jennifer zurückbringen.
Bentz hatte die Zähne fest aufeinandergepresst
und wirkte hart wie Stein. Der Blick hinter den getönten Gläsern war so fest
wie seine Stimme. Der Cop. Kalt. Distanziert. Abgebrüht. »Sonst noch etwas?«
»Nur, dass es ihr leid tat«, sagte Shana
aufrichtig. »Sie wollte nicht, dass du dich grämst.« Er blickte Shana genervt
an. Konnte man ihm daraus einen Vorwurf machen?
»Im Ernst, Rick. Sie hat sich gehasst für das,
was sie >ihren Fluch< nannte, dafür, dass sie immer alles Gute in ihrem
Leben zum Fenster hinausgeworfen hat. Ja, sie war selbstsüchtig und
eingebildet, aber tief im Innern war sie ein guter Mensch. Auf ihre ganz
eigene Art und Weise hat Jennifer dich geliebt. Und zwar sehr.«
9
An diesem Tag sah Bentz Jennifer zum ersten Mal
in L.A.
Nachdem er Shanas Anwesen in Beverly Hills
verlassen hatte, war er auf der Suche nach der Figueroa Street Richtung
Südwesten gefahren. Damit beschäftigt, das, was er von Shana erfahren hatte, zu
verdauen, und bemüht, die Fakten von Vermutungen oder zumindest von Shanas äußerst
parteiischer Sicht der Dinge zu trennen, schlängelte er sich durch den
frühnachmittäglichen Verkehr. Eins war eindeutig gewesen bei seinem Treffen mit
Shana Mclntyre: Die Fotos von Jennifer hatten sie aus der Fassung gebracht, das
hatte sie nicht gespielt.
Außerdem hatte sie ihn auf ihre gehässige Art
und Weise daran erinnert, Alan Gray zu überprüfen, den Mann, den Jennifer
angeblich geliebt hatte. Zumindest eine Zeitlang.
Ein Bauunternehmer, der sein Geld in den 1970ern
und 1980ern gemacht hatte, bevor die wirtschaftliche Entwicklung langsam
stagnierte. Bentz machte sich im Geiste eine Notiz, dem Baugiganten einen
Besuch abzustatten, um herauszufinden, was der gute alte Alan dieser Tage so
trieb. Er müsste jetzt Ende fünfzig, Anfang sechzig sein, vermutlich schon im Ruhestand.
Bentz würde das überprüfen.
Er blinzelte ins grelle Sonnenlicht, klappte die
Sichtblende herunter und entdeckte mehrere Motels, in denen sich Jennifer und
James getroffen haben könnten, obwohl sich vermutlich nicht mehr herausfinden
ließ, in welchem. Und wenn doch?
Es war immerhin zwölf Jahre her. In dieser Zeit
mochten die Motels die Besitzer gewechselt haben, alte Gebäude abgerissen und
durch neue ersetzt worden sein. Er wollte gerade nach Culver City abbiegen,
als er flüchtig eine schlanke Frau mit mahagonifarbenem Haar an einer
Bushaltestelle entdeckte. Sie trug ein gelbes Kleid und eine dunkle
Sonnenbrille.
Und wenn schon, war
sein erster Gedanke, doch als er an ihr vorbeifuhr und ihr Profil erkannte,
blieb ihm fast das Herz stehen. Die Nase, das Kinn ... die Art und Weise, wie
sie neben einer Bank stand und ihre Handtasche festhielt, den Blick auf die
Straße gerichtet, wo der Bus angerumpelt kam und blaue Auspuffgase ausstieß.
Sie hob eine Hand an die Stirn und beschirmte ihre Augen. Genau wie Jennifer es
immer getan hatte. Das
Weitere Kostenlose Bücher