Mercy Thompson 02 - Bann des Blutes-retail
erlangen. An Littletons Taten war nichts, was ich für eine Suche nach Wissen oder Macht hielt.
Dämonen wollten Chaos, Gewalttätigkeit und Tod. Littleton verbreitete das alles im Übermaß, aber wenn der Dämon seine Taten vollkommen bestimmte, würde es mehr Leichen geben. Dämonen sind nicht besonders geduldig. Der Dämon hätte Warren nicht gehen lassen, ebenso wenig wie Stefan und mich in dieser ersten Nacht.
Aber Littleton war ein neuer Vampir, und neue Vampire tun, was ihre Herren ihnen sagen.
Was hatte ein Vampir also von dem, was Littleton tat?
Littleton hatte fast mit Sicherheit Stefan und Ben umgebracht, und Warren beinahe ebenfalls – aber ich war ziemlich sicher, dass die Wölfe nur Nebenschauplätze waren. Niemand hätte vorhersehen können, dass die Werwölfe sich überhaupt einmischen würden.
Was konnte Daniels Ungnade und Stefans Tod einem Vampir also für einen Nutzen bringen? Stefan war Marsilias Favorit gewesen. Richtete der Zauberer einen indirekten Angriff gegen Marsilia?
Ich trommelte auf das Lenkrad. Wenn die Siedhe ein Wolfsrudel gewesen wäre, hätte ich besser interpretieren können, was sie tat. Dennoch … Marsilia hatte Stefan ausgeschickt und so getan, als wäre das eine Strafe. Für wen hatte sie sich verstellt? Wenn sie die gesamte Siedhe geschaffen hatte und alle ihr gehorchten, wie es Vampire laut Andre tun mussten, hätte sie sich nicht verstellen müssen. Also hatte sie vielleicht Schwierigkeiten, ihre Leute zu beherrschen.
Vielleicht hatte jemand Littleton hierhergeschickt, um sie zu vernichten und die Siedhe zu übernehmen. Wie wurde ein
Vampir Anführer einer Siedhe? War es möglich, dass Littletons Schöpfer sich in den Tri-Cities aufhielt? Und wenn das der Fall war, wie konnte er sich vor anderen Vampiren verstecken?
Ich brauchte mehr Informationen. Mehr Informationen über Marsilia und ihre Siedhe. Mehr Informationen darüber, wie Vampire funktionierten. Und ich wusste nur einen Ort, wo ich sie erhalten würde.
Ich ließ den Wagen wieder an und fuhr zu Stefans Menagerie.
11
I n der Einfahrt stand eine leuchtend rote Harley-Davidson, die am Vorabend noch nicht da gewesen war. Ich stellte mein Auto dahinter ab. Der arme alte Golf wirkte in einer solch wohlhabenden Nachbarschaft fehl am Platze.
Ich klingelte und wartete dann eine ziemlich lange Zeit. Meine Mutter hatte mir beigebracht, höflich zu sein, und ein Teil von mir hatte ein schlechtes Gewissen, die Bewohner zu einem Zeitpunkt zu stören, an dem sie für gewöhnlich schliefen. Aber das schlechte Gewissen hielt mich nicht davon ab, weiterzuklingeln.
Es war Rachel, die schließlich die Tür öffnete – und ebenso wie ich sah sie aus, als hätte sie eine schlimme Nacht hinter sich. Sie hatte ein dünnes gelbes T-Shirt an, das zwischen seinem Saum und dem Rand ihrer Hüftjeans zehn Zentimeter Platz ließ. Im Nabel trug sie ein Piercing, und der saphirblaue Stein in dem Ring blitzte, wenn sie sich bewegte. Er lenkte meinen Blick ab, und ich musste mich zwingen, ihr ins Gesicht zu blicken – das mehrere blaue Flecke am Unterkiefer aufwies, die neu sein mussten. Am Oberarm war ein purpurner Handabdruck zu erkennen, wo jemand sie offenbar sehr fest gepackt hatte.
Sie sagte kein Wort, ließ mich nur in Ruhe hinsehen, und
betrachtete mich ebenfalls ausgiebig. Sie bemerkte zweifellos meine teigige Haut und die dunklen Ringe unter den Augen, die zeigten, dass ich auch nicht geschlafen hatte.
»Ich brauche mehr Informationen«, sagte ich.
Sie nickte und trat von der Tür zurück, um mich hereinzulassen. Sobald ich im Haus war, konnte ich jemanden weinen hören, einen Mann. Er klang jung und hilflos.
»Was ist denn passiert?«, fragte ich und folgte ihr in die Küche, woher auch das Schluchzen kam.
Naomi saß an der Küchentheke und sah zehn Jahre älter aus als in der letzten Nacht. Sie trug die gleiche konservative Kleidung, aber die Sachen sahen inzwischen erheblich schlechter aus. Sie blickte kurz auf, als wir hereinkamen, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Kaffeebecher zu und begann mit erzwungener Ruhe zu trinken.
Weder sie noch Rachel achteten auf den jungen Mann, der sich in einer Ecke des Raumes zusammengerollt hatte, nahe der Spüle. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, weil er uns allen den Rücken zukehrte. Er wiegte sich hin und her, und der Rhythmus der Bewegung wurde nur von seinen Schluchzern unterbrochen, die seine Schultern zucken ließen. Er murmelte leise etwas vor sich hin,
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