Mercy-Thompson 03 - Spur der Nacht-retail-ok
für dich?«, fragte ich. »Ich meine, du sprichst Walisisch und kennest dich offenbar mit allen Arten von Folklore aus. Die meisten Leute, die ich kenne, die so sind –«
»Mögen das Feenvolk«, beendete er meinen Satz sachlich. »Sie machen Urlaub in Nevada und gehen in die Feenvolk-Bars und bezahlen Feennutten dafür, dass sie ihnen eine oder zwei Stunden vormachen, sie wären auch keine Menschen.«
Ich zog die Brauen hoch. »Das ist ein bisschen boshaft, oder?«
»Diese Leute sind Idioten«, sagte er. »Kennst du die Grimm’schen Märchen im Original? Das Feenvolk in diesen Geschichten hat nichts mit großäugigen, sanftmütigen Gärtnern oder Brownies gemein, die sich für die Kinder opfern, die ihnen anvertraut wurden. Sie lebten im Wald in Lebkuchenhäusern und aßen die Kinder, die sie anlockten.
Sie lockten Schiffe auf die Klippen und ertränkten dann die Seeleute.«
Aha, dachte ich, das war meine Chance. Sollte ich diese Gruppe treffen und sehen, ob sie etwas wussten, was Zee helfen konnte? Oder sollte ich geschickt zurückweichen und vermeiden, diesen empfindlichen – und gut informierten – Mann zu kränken?
Zee war mein Freund, und er würde sterben, wenn niemand etwas tat. Soweit ich sagen konnte, war ich die Einzige, die auch nur in Erwägung zog, etwas zu unternehmen.
»Das sind nur Geschichten«, sagte ich mit genau dem richtigen Zögern.
»Das gilt auch für die Bibel«, erwiderte er ernst. »Und für alle Geschichtsbücher, die du je gelesen hast. Diese Märchen wurden als Warnung weitergegeben, von Leuten, die weder lesen noch schreiben konnten. Leute, die wollten, dass ihre Kinder verstanden, wie gefährlich das Feenvolk ist.«
»Es gab nie zuvor einen Fall, bei dem einer vom Feenvolk angeklagt wurde, einen Menschen verletzt zu haben«, wandte ich ein und wiederholte damit den offiziellen Standpunkt. »Nicht in all den Jahren, seit sie an die Öffentlichkeit getreten sind.«
»Gute Anwälte«, stellte er wahrheitsgemäß fest. »Und verdächtige Selbstmorde des Feenvolks, Personen, die es nicht mehr ertragen konnten, so dicht an kaltem Eisen eingesperrt zu sein.«
Das war überzeugend, denn er hatte Recht.
»Das Feenvolk mag die Menschen nicht. Wir bedeuten ihnen nichts. Bis zum Christentum und der Erfindung
von gutem Stahl waren wir für sie kurzlebiges Spielzeug mit einer Tendenz, sich zu schnell zu vermehren. Danach waren wir kurzlebiges, gefährliches Spielzeug. Sie haben Macht, Mercy, Magie, mit deren Hilfe sie Dinge tun können, die du nicht glauben würdest – aber es steht schon alles in den Geschichten.«
»Warum haben sie uns dann noch nicht umgebracht?«, fragte ich. Das war kein Theater. Ich hatte mir diese Frage schon oft gestellt. Laut Zee waren die Grauen Lords unglaublich mächtig. Wenn das Christentum und das Eisen so schlimm für sie waren, warum hatten sie uns nicht schon lange getötet?
»Sie brauchen uns«, sagte er. »Reinblütiges Feenvolk vermehrt sich nicht so leicht, wenn überhaupt. Sie müssen sich mit Menschen vereinigen, um überleben zu können.« Er stützte sich mit beiden Händen am Tisch ab. »Und dafür hassen sie uns noch mehr als für alles andere. Sie sind stolz und arrogant, und sie hassen uns, weil sie uns brauchen. Sobald sie uns nicht mehr brauchen, werden sie uns erledigen, wie wir Schaben und Mäuse töten.«
Wir starrten einander an – und er konnte sehen, dass ich ihm glaubte, denn er nahm ein kleines Notizbuch und einen Stift aus der Jeanstasche und riss ein Blatt heraus.
»Wir treffen uns Mittwoch bei mir zu Hause. Das hier ist die Adresse. Es wäre schön, wenn du vorbeikommen könntest.« Er griff nach meiner Hand und steckte das Stück Papier hinein.
Als er seine Hand um meine Finger legte, spürte ich, wie Samuel näher kam. Er legte mir die Hand auf die Schulter.
Ich nickte Tim zu. »Danke, dass du mir Gesellschaft geleistet
hast«, sagte ich zu ihm. »Es war ein interessanter Abend. Vielen Dank.«
Samuel packte meine Schulter fester, bevor er sie vollkommen losließ. Er blieb hinter mir, als wir die Pizzeria verließen. Er öffnete die Beifahrertür seines Autos für mich, dann setzte er sich auf die Fahrerseite.
Das Schweigen passte nicht zu ihm – und es beunruhigte mich.
Ich setzte dazu an, etwas zu sagen, aber er hob eine Hand, die wortlose Bitte, das nicht zu tun. Er schien nicht zornig zu sein, was mich nach der Vorstellung, die er für Tim gegeben hatte, überraschte. Aber er ließ auch das Auto nicht an und
Weitere Kostenlose Bücher