Messer, Gabel, Schere, Mord: Mitchell& Markbys Vierter Fall
nicht draußen und auf der Straße unterwegs war. Ein Rascheln auf dem Kaminrost verkündete, dass die Scheite, die zuvor so munter geknistert und geknackt hatten, unter winzigen goldenen Funkenschauern in sich zusammengefallen waren. Die Luft war warm und schwer. Eine Uhr tickte leise. Es schien, als wäre die Zeit im Hotel stehen geblieben. Es hätte 1890 sein können, oder 1909 oder 1990 – es machte nicht den geringsten Unterschied. Vielleicht war Meredith nicht allein; vielleicht wurde sie von den Schatten früherer Bewohner beobachtet, neugierig, aber nicht feindselig. Draußen war alles – in verblüffendem und grellem Kontrast zum Innern – von einer nassen, grauweißen und klammen Masse überzogen. Der Nebel schien das Haus zu belagern, wirbelte feindselig über die Fensterscheiben auf der Suche nach einer Lücke, durch die er ins Haus eindringen konnte. Die Reihe viktorianischer Straßenlaternen entlang der Auffahrt hätte eigentlich von hier aus sichtbar sein müssen, doch sie waren nur gelbliche Flecken in der trüben Suppe. Bäume und Büsche waren verschwunden. Meredith erschauerte und wandte sich ab. Der Samtvorhang fiel vor das Fenster zurück. Sie war zwar müde, doch sie hatte noch keine Lust, nach oben und ins Bett zu gehen. Sie kehrte zu ihrem Sessel am Feuer zurück und nahm ein Landschaftsmagazin aus dem Ständer, doch dann saß sie einfach da, das Magazin ungeöffnet im Schoß, und starrte in die flackernden Überreste der Glut. Ein plötzlicher Funkenschauer stob auf, ein paar Flammen leckten über die zerfallenen Scheite, dann war es wieder so dunkel wie zuvor. Wenn die Hausgeister noch immer über Springwood Hall schwebten, dachte Meredith schläfrig, dann hatten sie jedenfalls reichlich Stoff, um sich darüber zu amüsieren! Es war ein anstrengender Tag gewesen, genau wie jeder andere auch seit dem Mord an Ellen Bryant. Nachdem Denis und Markby in die Stadt aufgebrochen waren, hatte sich Leah ans Telefon gesetzt und den ganzen Nachmittag wütend damit verbracht, einflussreiche Persönlichkeiten aller Couleur zu kontaktieren. Zum Abendessen hatte sie Meredith Gesellschaft geleistet, allerdings nur, um vor dem erkaltenden Mahl über die britische Polizei, das gesamte System der Justiz im Allgemeinen und Chief Inspector Markby im Besonderen herzuziehen und Vergeltung zu schwören, sobald ihr Anwalt die Sache erst in die Hand genommen hätte. Meredith hatte geduldig gelauscht, sorgsam darauf bedacht, sich nicht zu offensichtlich über ihre eigene Mahlzeit herzumachen und dadurch womöglich unhöflich und gefühllos zu erscheinen. Sie hatte Markby verteidigt, so gut es eben ging – wenn Leah sie zu Wort hatte kommen lassen. Aber es war wohl nicht gut genug gewesen. Wie kann ich auch, wenn ich nicht einmal weiß, was er vorhat?, dachte sie missmutig. Wenn sie jetzt darüber nachdachte, am warmen stillen Kaminfeuer, schien es geradezu unglaublich, dass von allen Männern ausgerechnet Denis Fulton gebeten worden war,
»der Polizei bei ihren Ermittlungen zu helfen«. Warum, um alles in der Welt, gerade Denis? Doch stille Wasser sind tief, und Denis, wie nun offenbar wurde, schien eine bewegte Vergangenheit zu haben. Woher, fragte sich Meredith träge, hatte er die verstorbene Mrs. Bryant gekannt, und in welcher Beziehung hatte er zu ihr gestanden? Und was war der Grund für seine kürzliche Kontaktaufnahme mit ihr? Zwecklos, Alan zu fragen – er wusste es bestimmt, doch er würde nichts verraten. Leah wusste vermutlich ebenfalls nichts, denn Denis war mit dem Versprechen aufgebrochen, später alles aufzuklären. Kein Wunder, dass Leah aufgebracht war. Es war viel schlimmer, nicht die volle Wahrheit zu kennen und wilden Spekulationen ausgeliefert zu sein, als anders herum, ganz gleich, wie schockierend diese Wahrheit sein mochte. Als hätte der Gedanke an Leah Fulton auf geheimnisvolle Weise telepathischen Kontakt mit ihr hergestellt, ging die Tür auf, und Leah trat ein.
»Hallo«, sagte Meredith überrascht.
»Ich dachte, Sie lägen schon im Bett. Alle anderen sind längst schlafen gegangen.« Leah lächelte freudlos.
»Vielleicht freuen sie sich ja auf angenehme Träume, wer weiß? Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Ihnen Gesellschaft leiste?« Sie setzte sich Meredith gegenüber und starrte in offensichtlicher Unzufriedenheit auf die zusammenfallende Glut im Kamin.
»Sekunde«, sagte Meredith. Sie stand auf, nahm eins der kleineren Holzscheite aus einem Korb neben dem Kamin und legte es
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