Messer, Gabel, Schere, Mord: Mitchell& Markbys Vierter Fall
zeigten keine größeren Barabhebungen. Aber es gab schließlich andere Möglichkeiten außer Barzahlung.
»Einen eigenartigen Beruf haben Sie da«, hatte Robin Harding zu ihm gesagt, und das mit Fug und Recht. Es war in der Tat ein eigenartiger Beruf. Plötzlich wurde das Bedürfnis überwältigend, zu McVeigh zu gehen und um Ablösung von diesem Fall zu bitten. Er wollte nichts mehr über Ellen Bryant wissen, wollte niemandem mehr Fragen stellen oder sich mit Leuten abgeben, die offensichtlich nicht mit ihm reden wollten und sein Auftauchen als unerwünschte Einmischung in ihre Privatangelegenheiten betrachteten. Er wollte nach Hause. Doch sein Zuhause war ein stiller Ort. Das Echo der Eingangstür, die hinter ihm ins Schloss fiel, hallte durch das leere Haus. Die ungelesene Post raschelte unter seinen Füßen, die ungewaschene Tasse und der Teller vom Frühstück standen noch immer dort, wo er sie am Morgen zurückgelassen hatte, auf dem Abtropfbrett in der Küche, und all diese Dinge verstärkten noch sein Gefühl von Isolation. Er wünschte sich wirklich, Meredith wäre bei ihm. Er fragte sich, was sie in London machte, wenn sie nicht gerade arbeitete. Wie ihre Freunde waren. Darüber dachte er in der Tat sehr häufig nach, ebenso wie über die Frage, ob es jemand Besonderen darunter gab. Sie hatte nichts dergleichen gesagt. Er stellte sich vor, dass sie ihm Bescheid sagen würde, falls sie jemanden kennen lernte, jemand Besonderen. Aber warum eigentlich? Sie war ihm gegenüber nicht verpflichtet, Rechenschaft abzulegen, genauso wenig wie er ihr gegenüber. Trotzdem. Immer wieder musste er darüber nachdenken. Markby taute ein Paket Fischstäbchen auf und aß sie zusammen mit Brot und Butter. Es war sein Abendessen. Paul zeigte ihm immer wieder, wie man sich ein schnelles, nahrhaftes, auch die Augen erfreuendes Mahl aus frischen Zutaten bereiten konnte, doch Paul fuhrwerkte gerne in der Küche herum, und Markby nicht. Er las die Zeitung und schaltete den Fernseher ein, um die Nachrichten zu sehen, doch er döste mit den Füßen auf dem Kamelsattel ein, bevor sie anfingen. Den Kamelsattel hatte er aus seiner Ehe mit Rachel. Weder er noch sie hatten ihn haben wollen, und weil Rachel Rachel war, waren sämtliche Gegenstände, die keiner von beiden wollte, zu seinem Anteil am ehelichen Zugewinn ge rechnet worden. Das beharrliche Läuten des Telefons riss ihn aus dem Schlaf. Er schlug die Augen auf und starrte auf seine Uhr. Es war kurz vor Mitternacht. Markby erhob sich aus seinem Sessel, schaltete den Fernseher aus und nahm den Hörer zur Hand.
»Hallo?«
»Gott sei dank, Alan, du bist da!« Es war Paul Danby, Markbys Schwager, und er war offensichtlich schrecklich aufgewühlt.
»Stimmt etwas nicht mit Laura?«, fragte Markby rasch.
»Nein, es ist Emma … Sie ist verschwunden! Sie ist nicht in ihrem Zimmer! Laura hat auf dem Weg ins Bett noch einmal nach den Kindern gesehen, wie sie es immer macht, und Emma ist verschwunden! Einfach so!«
»Halt, Augenblick mal«, unterbrach ihn Markby entschlossen.
»Ist sie denn wie üblich zu Bett gegangen?«
»Ja, sicher! Genau wie sonst auch! Wo um alles in der Welt …«
»Hast du Haus und Garten nach ihr abgesucht, und fehlen Kleidungsstücke?«
»Ja, ja und ja!« Paul brüllte fast in den Hörer.
»Sie ist nicht im Haus, sie ist nicht im Garten, und sie trägt ihre Jeans, Gummistiefel und einen Anorak, soweit wir feststellen konnten! Sie hat ihren Schlafanzug ordentlich gefaltet und auf das Bett zurückgelegt …«, an dieser Stelle wurde Pauls Stimme un sicher.
»Beruhige dich, alter Junge«, sagte Markby.
»Ich bin gleich bei euch.«
Ein vermisstes Kind. Eine der schlimmsten Erfahrungen, die man machen konnte. Für Markby war es ganz besonders schmerzhaft, nicht nur, weil Emma seine Nichte und sein Patenkind war, sondern weil er in ihr die Tochter sah, die er nie gehabt hatte und wahrscheinlich niemals haben würde. Er war in den Vierzigern, hatte eine kinderlose Ehe und lange Jahre als Single hinter sich, und er glaubte nicht mehr daran, dass er jemals Vater werden würde, selbst wenn es ihm gelang, Meredith zu einer Ehe zu bewegen. Ganz zu schweigen davon, dass er nicht sicher war, ob er in seinem Alter überhaupt noch mit einem Baby zurechtkommen würde, das ständig nass und am kreischen war und wütend wurde, wenn man nicht gleich gesprungen kam.
Neben seinem Schmerz und der Angst spürte er, während er (viel zu schnell) zum Haus seiner Schwester
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