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Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Titel: Messias-Maschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Beckett
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aufzubauen.

    »He, Kleine Rose, du hast wieder umgeräumt! Wo nimmst du bloß all die Energie her? Ich hatte mich gerade daran gewöhnt, dass das Zimmer rosa ist, und jetzt hast du es gelb gestrichen! Aber hübsch. Wirklich sehr hübsch!«

    Mr. Gladheim gehörte zu einer Reihe von Wesenheiten, deren Aufgabe darin bestand, durch die SenSpace-Welten zu patrouillieren, ihre regelmäßigen Benutzer aufzusuchen und ihnen Unterstützung, Freundschaft und Rat anzubieten.
    Diese sogenannten Hilfsentitäten waren so erschaffen worden, dass sie verbreiteten Vorstellungen von den Charakteristika hilfsbereiter Menschen entsprachen, wie Marktforscher sie ermittelt hatten. Sie wurden von den Mitarbeitern des Sozialdienstes der SenSpace Corporation mit Leben erfüllt. Es handelte sich um eine Abteilung, die die Firma eingerichtet hatte, um den öffentlichen Anschuldigungen, dass der SenSpace verwundbare und einsame Menschen ausbeuten würde, etwas entgegenzusetzen.
    Die meisten Hilfsentitäten liefen automatisch, genau wie die elektronischen Nachbarn von Kleine Rose in der Stadt ohne Ende. Doch sie wurden von Mitarbeitern des Sozialdienstes überwacht, die falls nötig jederzeit die direkte Kontrolle übernehmen konnten. Aus Kundensicht waren solche Kontrollwechsel übergangslos und nicht zu erkennen. Mr. Gladheim sah noch genauso aus, lächelte genauso und sprach genauso wie ein Amerikaner aus New York – ob er nun von einer dreiundzwanzigjährigen Sozialarbeiterin, einem einundvierzigjährigen Sozialarbeiter oder von einer selbstentwickelnden künstlichen Intelligenz mit Leben erfüllt wurde.
    Aber ob er nun echt war oder nicht: Es war Mr. Gladheim, der Ruth vier Tage nach meiner Abreise das Leben rettete. Seine imaginären Fingerknöchel retteten sie, als er mit ihnen an die imaginäre Tür zu dem imaginären Haus der imaginären Kleinen Rose klopfte.

    Ruth verliebte sich in ihn. Sie redete stundenlang mit ihm. Sie verriet ihm Geheimnisse. Sie kicherte und flirtete. Jeden Tag putzte sie sich für ihn mit neuen imaginären Kleidern heraus, jeden Morgen zermarterte sie sich das Hirn über Dinge, die sie ihm erzählen konnte.
    Der Sozialdienst, der bei ihr Bedarf feststellte, sorgte dafür, dass Mr. Gladheim sie täglich aufsuchte. Das bereitete keinerlei Umstände. Er konnte schließlich an vielen Orten zugleich sein. Sie programmierten ihn darauf, täglich mit einem Blumenstrauß bei ihr vorbeizuschauen und ihr auf eine Art und Weise seine Aufmerksamkeit zu widmen, die an einen wohlmeinenden Vater, aber auch an einen respektvollen Verehrer und ein kleines bisschen an einen professionellen Therapeuten erinnerte.
    Er besuchte sie am Tag nach meiner Abreise, und Kleine Rose erzählte ihm, dass sie sich Sorgen um mich machte. Sie sagte, dass ich sehr selbstsüchtig sei, ihr nie erzählte, was ich trieb, und mich nie fragte, ob sie mich vielleicht gerade brauchte. Mr. Gladheim schnalzte mit der Zunge.
    Am darauffolgenden Tag, meinem dritten in Epiros, besuchte er sie erneut. Kleine Rose meinte, dass sie sehr müde wäre, und Mr. Gladheim erkundigte sich, ob es ihr gutginge und ob sie Hilfe bräuchte. Sie verneinte das, aber fügte hinzu, dass sie gerne in den Arm genommen werden würde. Also schloss er sie väterlich in seine imaginären Arme.
    Am Tag darauf reagierte sie nicht auf sein Klopfen. Das war ungewöhnlich. Ruth verbrachte nur wenig Zeit außerhalb des SenSpace, und es war noch nie vorgekommen, dass sie nicht da gewesen war, wenn Mr. Gladheim sich angekündigt hatte.
    Auch am nächsten Tag machte sie nicht auf.
    Und am Tag darauf.
    Mr. Gladheim wurde zu diesem Zeitpunkt von einer selbstentwickelnden künstlichen Intelligenz gesteuert, die erkannte, wie extrem untypisch es für Ruth war, drei Tage hintereinander nicht da zu sein. Sie fragte bei der SenSpace-Zentrale nach, die den Ein- und Austritt von Kunden in den und aus dem SenSpace überwachte. Die Zentrale überprüfte die Angelegenheit sehr sorgfältig, und nach beinahe drei Mikrosekunden meldete sie sich bei der KI vom Sozialdienst mit der überraschenden Information zurück, dass Ruth sich durchaus im SenSpace befand und sich derzeit sogar in den Ideenraum der Stadt ohne Ende™ projizierte, obgleich es keine Anzeichen von Aktivität gab.
    Die KI informierte den diensthabenden Sozialarbeiter, einen Menschen, genau genommen eine Frau. Sie rief bei der Zentrale Ruths gesamtes »Verbindungsprofil« auf und ließ es sich anzeigen. Was sie sah, beunruhigte

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