Messias-Maschine: Roman (German Edition)
sie.
»Das wird ein schlechtes Licht auf die Firma werfen«, sorgte sich die Sozialarbeiterin. »Dafür wird es jemandem an den Kragen gehen.«
Sie mailte ihrem Vorgesetzten das gesamte Profil. Der schüttelte den Kopf.
»Da stehen wir ganz schön blöd mit da, so viel steht fest.«
Er leitete das Profil mit dem Vermerk »dringend« an seinen eigenen Abteilungsleiter weiter.
»Das wird dem Sozialdienst gar nicht gut zu Gesicht stehen«, fügte er in einem Begleitschreiben hinzu.
Das Profil zeigte, dass Ruth seit fünf Tagen ununterbrochen im SenSpace war. Die letzten drei Tage war sie zwar weiterhin angeschlossen gewesen, doch es hatte keinen erkennbaren Output von ihrer SenSpace-Adresse gegeben.
Der Abteilungsleiter sagte dem Vorgesetzten, dass er die Sozialarbeiterin anweisen sollte, den Notdienst zu verständigen. Nicht den imaginären Notdienst, sondern den echten Notarzt in Illyria City.
Kapitel 37
K rankenwagensirenen heulten in den Straßen, wie ich es so oft tief unter mir gehört hatte, wenn ich auf unserem Balkon im fünfzigsten Stock gestanden und auf die Türme und das Meer hinausgeblickt hatte. Doch diesmal fuhren sie nicht zu irgendjemand Fremdem. Sie kümmerten sich nicht um eines der Dramen, die immer nur anderen Leuten passierten. Sie fuhren zu unserem Wohnblock in Faraday, zu unserer Wohnung. Sie gingen an den Ort, an dem es nie Besucher gab, an den Ort, an dem nie etwas passierte.
Eine seltsame Gruppe verließ im fünfzigsten Stock den Fahrstuhl: der Notarzt, sein Roboterassistent, zwei Polizisten mit ihrem eigenen Roboterassistenten und die Plastec-Putzfrau Lynda mit ihrem glatten, rosafarbenen Gesicht …
Niemand machte die Wohnungstür auf, und sie war abgeschlossen. Die Hausmeisterin Lynda gab ein Ultraschallsignal von sich, mit dem sie dem Schloss befahl, sich zu öffnen. Das tat es auch, aber die Tür ging trotzdem nicht auf, weil zwei Riegel, die Ruth von Hand angeschraubt hatte, sie von innen blockierten.
»Offenbar lebt hier auch ein Mr. Simling«, sagte einer der Polizisten. Sie hatten beim Meldeamt nachgefragt.
»Er ist seit Montag weg«, erklärte die Roboterputzfrau.
»Das wissen wir«, gab der Polizist zurück. »Wir wissen, dass er …«
Der Polizeiroboter unterbrach ihn höflich. Er hatte soeben weitere Informationen aus dem Zentralregister erhalten, und es hieß, dass ich am Montagnachmittag nach Epiros ausgereist war. Dass man mich verdächtigte, in einen Syntec-Diebstahl verwickelt zu sein. Und dass ich Gegenstand einer geheimen Sicherheitsakte sei.
Irgendjemand hatte bei der Dateneingabe einen Fehler gemacht. Diese Informationen waren bislang an verschiedenen Stellen gespeichert gewesen, und niemand hatte die offensichtlichen Zusammenhänge hergestellt.
Die Polizisten schauten einander finster an. »Das wirft ein schlechtes Licht auf uns. Da kann sich jemand auf was gefasst machen …«
Doch zumindest war dieser Jemand keiner von ihnen beiden.
Der Polizeiroboter und der Notarztroboter schlugen die Tür ein.
Die gesamte Versammlung – drei Menschen und drei Roboter – betraten unsere aufgeräumte kleine Wohnung.
»Mrs. Simling? Mrs. Simling?«
Keine Antwort. Charlie kam surrend aus der Küche, in der er fünf Tage lang auf Anweisungen gewartet hatte.
»Hallo, kann ich irgendwie helfen?«, waren die Worte, die sein kleines elektronisches Hirn an sein Stimmmodul sandte. Aber da wir dieses Modul noch immer nicht hatten reparieren lassen, kam nur ein leises Summen heraus.
Die Polizisten überprüften alle Zimmer und stellten fest, dass die Tür zum SenSpace-Raum von innen verschlossen war. Also schlugen die Roboter auch diese ein. Die Erschütterung ließ eine kleine Porzellantasse mit einer winzigen, aufgemalten roten Rose zu Boden fallen – Ruths einziges Andenken an die Sammlung viktorianischen Porzellans, die sie in Chicago gehabt hatte.
Mitten im Zimmer baumelte Ruth in ihrem SenSpace-Anzug wie ein Mantel am Haken …
Als sie sie losschnitten, stellten sie fest, dass ihre Arme und Beine mit eiternden Geschwüren übersät waren. Auch ihre Augen waren wund und eiterten. Ihr gesamter Körper war von entzündeten Wunden bedeckt. Ihre Wasserflasche war bereits seit zwei Tagen leer. Sie war lebensbedrohlich dehydriert. Die ganze Zeit hatte sie in ihrem eigenen Urin, ihren Fäkalien und ihrem Eiter gelegen. Ich war nicht da gewesen, um sie abends aus ihrem Anzug zu holen, das war das Problem. Sie war von mir abhängig geworden, und ich war
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