Metropolis brennt
vielleicht.
Norman wurde sanft von den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne, die durch das Fenster drangen, geweckt. Leise pfeifend stieg er aus dem einfachen, aber mollig warmen Bett und trat ans Fenster. Der Himmel war von dem Sonnenaufgang noch blaßrosa gefärbt, und er genoß die weite Aussicht auf das erwachende Land. Er öffnete das Fenster und beugte sich über das Fensterbrett nach draußen, auch wenn ihn die sich nur langsam erwärmende Morgenluft frösteln ließ. In der Stadt bekam man die Jahreszeiten gar nicht mehr mit; dort war es immer gleich stickig und verqualmt. Aber hier, hier fühlte und sah man jede Veränderung des Klimas. Noch vor einer Woche war es ziemlich kalt und kahl gewesen. Jetzt aber drängte der Frühling mit aller Macht die kalte Jahreszeit zurück, und die Pflanzen und Tiere konnten sich dem nicht verschließen.
Er sah weit entfernt am Ufer des Flusses die ersten Weidenkätzchen in der Morgensonne glitzern, und das Gras bekam wieder eine gesunde, satte Farbe. Die Krokusse, schon vor zwei Wochen mit ihren Knospen durch den dünnen Schnee gebrochen, öffneten ihre Kelche nun weit und sogen begierig die Sonnenstrahlen durch den so entstandenen Schlund. Nur die Baumwipfel waren noch kahl, kaum, daß hier und dort erste Knospen in einem zarten Grün der Hoffnung prangten. Etwa zehn Meter von seinem Standort entfernt erblickte er auf einem Ast, der in Höhe seines Fensters einer mächtigen Ulme entsprang, einen schwarzgefiederten Vogel, der mit seinem orangeroten Schnabel ein kräftiges Tschilpen ausstieß, welches er schon im Bett gehört hatte.
Die frische Morgenluft durchdrang allmählich unangenehm seine Haut, und er schloß die altmodischen Flügel des Fensters wieder, um sich nicht zu verkühlen. Er duschte, suchte sich aus einem der Wandschränke etwas Neues zum Anziehen und frühstückte dann ausgiebig unten im Servierraum der Pension. Hier war er schon öfter gewesen. Fast den ganzen Tag verbrachte Norman an der frischen Luft und freute sich an der erwachenden Natur. Es war ein Wunder, ja, wie ein Wunder, wenn er das hier mit der Stadt verglich. Daran konnten auch die elektronischen Annehmlichkeiten, die hier größtenteils fehlten, nichts ändern – hier waren sie gar nicht vonnöten.
Von den vielen fröhlichen Menschen, die er im Laufe des Tages traf, hatte er erfahren, daß am Abend eine große Fete steigen sollte. Am Morgen darauf, es war Sonntag, wachte Norman mit einem Brummschädel auf. Es mußte schon später Nachmittag sein, denn die Sonne stach ihm grell in die Augen. Als er mit zusammengekniffenen Augen um sich tastete, um sein Armchronometer zu suchen, fühlte er plötzlich etwas Weiches neben sich.
Er öffnete die Augen etwas weiter, sah einen Arm, und dann kam ihm die Erinnerung. Er hatte gestern abend eine junge Frau kennengelernt, und sie hatten sich beide fast augenblicklich ineinander verliebt. Schließlich war Lilana mit ihm in seine Pension gegangen, und hier oben hatten sie sich das erste Mal geliebt. Schon lange Zeit hatte Norman nicht mehr mit einer Frau geschlafen, die ihn mochte, die nicht gekauft oder ein sens-O-tronisches Schattengebilde in seinen Hirnlappen war.
Norman war glücklich. Sanft streichelte er den Arm Lilanas und weckte sie sachte auf. Sie wandte ihm ihr hübsches Gesicht zu und lächelte ihn an, das dunkelbraune Haar fiel ihr in mehreren Strähnen über die Wangen und verdeckte das niedliche kleine Muttermal neben dem rechten Nasenflügel.
Norman hatte ein so intensives Glücksgefühl noch nie erlebt. Er hatte Angst, daß es im grauen Alltag der Stadt wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzen würde, und hatte ihr daher nicht seine Prioritätsnummer genannt. Er wollte sich erst
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