Metropolis brennt
Nimm das Ruder, Mayda, ich …“
Mayda wollte sich bewegen, doch ihre Muskeln gehorchten ihr nicht. Wieder sah sie das Bild: sieben Leuchtscheiben, die langsam am Himmel emporkrochen und sich weit oben zu einem Glanzschimmer vereinigten. Sie vernahm eine ferne Stimme, einen warmen Hauch, den Schatten von Zärtlichkeit und Sympathie und … Hoffnung. Das Heim. Sie legte den Kopf in den Nacken. Sie konnte das Heim nicht sehen, aber seine Präsenz fühlen. Ruhe breitete sich in ihrem Innern aus. Die Wellenberge ihres Mentalozeans glätteten sich. Stille. Schweigen. Nur das Rauschen der Kaltströmungen, durch die der Himmelsfalke in die Tiefe trieb.
Sympathie. Und Zuneigung. Vertrauen. Und Hoffnung.
Ihre Sinne erweiterten sich. Sie fühlte die Warmporen an den Rochenhautplanen. Sie tastete in den organischen Mikrokosmos aus Rudimentärnerven und Stoffwechselsystemen. Sie verwandelte und benutzte. Neues Wasserstoffgas wurde in die unzerstörten Luftknochen geleitet. Der Auftrieb des Hohlbootes nahm zu. Sekunden reihten sich aneinander, wurden zu Minuten, dann Stunden. Finsternis kroch über den Himmel, als das Lebenslicht jenseits der Wolkenbänke versank. Viellichter glühten auf, flackernd, kalt, fern. Der Himmelsfalke gewann wieder an Höhe und trieb durch die verschiedenen Luftströmungen. Irgendwo weiter oben war das Heim. Und die Stimme, die Mayda zurückrief.
„Ja“, murmelte sie, und ihre Augen waren noch immer geschlossen. „Ich komme.“
Der Windmacher erwachte aus seinem Koma und kauerte sich ängstlich und furchtsam an die Verstrebungen. Kurz darauf kam auch Tscherlan wieder zu sich. Vorsichtig berührte er Mayda. Sie reagierte nicht darauf.
Sie sah das Bild zum drittenmal. Und diesmal verstand sie es besser. Ihre Lippen bewegten sich zitternd; ihre Stimme war rauh und heiser.
„Es kommt die Zeit, da werden alle sieben Monde zusammen aufgehen“, sagte sie.
Der Windmacher wimmerte. Tscherlan warf ihm einen finsteren Blick zu. „Hast du immer noch Angst? Sie hat uns das Leben gerettet. Sei still!“
„Sie werden emporsteigen und sich im Zenit vereinigen. Es ist die Zeit der Gefahr, denn die Kraft ihrer Schwere wird sich vervielfachen und nach den Luftozeanen greifen. Mondsturmzeit. Die Luft wird beben; die Strömungen werden sich verändern. Sturmwellen werden vom Tiefen Grund heraufwehen. Mondsturmzeit. Wolkensporen werden auftauchen, denn dies ist die Zeit ihres Großen Tanzes. Nebelfäden werden dort schweben, wo Himmelsplankton zuvor den Glanz des Lebenslichtes verdunkelt hat. Hütet euch vor der Mondsturmzeit. Bereitet euch vor. Viel hängt davon ab: euer Leben und auch das des Heims.“
Stundenlang wiederholte Mayda diese Worte. Irgendwann tauchte ein Schatten über ihnen auf: das Heim. Mayda stöhnte einmal und sank zurück. Tscherlan beugte sich über sie. Sie sah ihn verwirrt an. „Es ist alles gut, meine Kleine.“ Er nahm sie kurz in die Arme. „Es ist alles gut. Hab keine Angst.“
„Was …“ begann sie, doch die Erschöpfung war zu groß. Sie schlief ein.
Der Himmelsfalke schwebte dem Heim entgegen. Emporgestreckte Arme nahmen die Haltetaue entgegen und befestigten sie an den Masten.
„Wir kommen ohne Ladung“, sagte Tscherlan düster. „Wir bringen üble Kunde.“
Schweigen schloß sich an die Worte Tscherlans an, als er seinen Bericht beendet hatte. Die Blicke der Weisen ruhten erst auf dem Jäger und glitten dann weiter zum Windmacher und zum verletzten Contrabitter des Himmelsfalken. Zuletzt ruhten sie auf Mayda.
„Offenbar“, sagte einer der Weisen, „ist es wirklich eine Zeit der Wandlungen. Immer weniger Plankton, dafür immer mehr Wolkenfeinde. Leta ist tot. Leben aber ist kostbar. Wir sind nicht viele.“
„Sie ist schuld.“ Der Contrabitter erhob sich und deutete auf Mayda. Einige der Weisen hoben die Augenbrauen. In den Eingängen zu den nahen Warmkuben schwebten die Gesichter von Neugierigen. Leise wehten die Winde. „Sie hat meine Contrakraft blockiert. Wäre sie nicht gewesen, hätte ich den Angriff abwehren können.“
„Red nicht so einen Unsinn!“ rief Tscherlan. „Du hast versagt, das ist alles. Und jetzt willst du die Schuld leugnen. Außerdem“, er deutete auf Mayda, die mit gesenktem Kopf am Boden saß, „hat sie uns das Leben gerettet. Sie hat den Himmelsfalken zum Heim zurückgesteuert.“ Er raufte sich die Haare. „Auch wenn ich nicht weiß, wie sie das fertiggebracht hat. Es ist eine Tatsache. Du solltest ruhig etwas Dankbarkeit
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