Mexiko, mein anderes Leben (German Edition)
sich im ganzen Haus ausbreitete.
Doch bald duftete es nicht mehr frisch, sondern ein süßlicher, ekelhafter Geruch, der immer stärker wurde, zog sich durch alle Räume. Mit meiner ausgeprägten Polizeinase suchte ich jede Ecke und jeden Winkel ab, aber die Ursache war nicht zu finden. Es stank bestialisch! Erst roch es nur in der unteren Etage, doch nach ein paar Tagen zog sich der widerliche Geruch durch das ganze Haus bis nach oben in unsere kleine Penthousewohnung. So konnte es nur stinken, wenn etwas Lebendiges in Verwesung übergegangen war. Leider hatten wir keinen Hund, denn so eine Spürnase wäre
sicherlich schneller fündig geworden. Irgendwann hatte auch ich die Ursache gefunden. In der Garage stand ein alter Schrank, dessen Tür nicht mehr zuging. Vor der halboffenen Schranktür hatte sich eine weißlich-gelbe Pfütze gebildet, die so fürchterlich stank, dass sich mir der Magen umdrehte und ich nur noch mit vorgehaltener Hand die nächste Toilette erreichen konnte. In dem Schrank lag ein totes Tier. Keine Katze und kein Hund, sondern ein Pelikan. Jedenfalls erinnerte der große Schnabel an der formlosen Masse noch daran, dass es mal einer gewesen war. Der Vogel war schon lange tot und trotzdem bewegte sich der schleimige Körper, aus dem der Leichensaft floss. Zahlreiche Maden lebten in dem toten Tier und labten sich an dem Festtagsschmaus.
Wie der Pelikan in den Schrank gekommen war, ist uns bis heute ein Rätsel, denn normalerweise halten sich diese Vögel nur in der Nähe des Wassers auf. Aber vielleicht war er krank oder verletzt, und zog sich deshalb zum Sterben zurück. Die Leiche musste entsorgt werden und Robert machte sich daran, den Kadaver mit einer alten Schippe zusammenzukratzen, um danach die letzten Spuren mit dem Wasserschlauch zu beseitigen. Aus sicherer Entfernung hörte ich sein ständiges Würgen, aber er wollte nicht, dass ich ihm helfe, worüber ich auch ganz froh war. Viel später erfuhren wir von unserer Putzfrau, wie die Mexikaner mit so einem Problem umgehen: Der stinkende Kadaver wird mit Chlor übergossen, wodurch die Bakterien abgetötet werden und der Gestank verfliegt. Am folgenden Tag können die Überreste dann problemlos entsorgt werden.
Einen Tag nach der Aktion mit dem Pelikan war der Gestank weg, aber Robert fühlte sich schlecht. Er sprach nicht darüber, aber ich spürte, dass es ihm nicht gut ging. Seine Philosophie ist es immer, nicht über Krankheiten zu reden, sondern sie zu ignorieren. Erst wenn man einen Arzt aufsucht, wird man richtig krank, doch dieses Denken konnte ich nicht so ganz akzeptieren. Eine andere Taktik, die er benutzt, wenn es ihm nicht gut geht, ist die Ablenkung. Beim Shoppen gelang ihm das jedes Mal hervorragend. Und so plante er eine ausgiebige Einkaufstour durch die zahlreichen Boutiquen von Down Town. Ob er dabei sein Unwohlsein vergessen konnte, wagte ich zu bezweifeln, aber abhalten konnte ich ihn davon nicht.
Schon lange suchten wir ein passendes Brautkleid für unsere Hochzeit, die noch im gleichen Jahr stattfinden sollte, und dieses wollten wir nun endlich finden. Das Angebot in den zahlreichen Geschäften war groß und die Wahl fiel dementsprechend schwer, doch Robert entwickelte bei solchen Streifzügen eine unbeschreibliche Ausdauer. Manchmal dachte ich, dass seine Freude dabei größer war als meine. Aber an diesem Tag war es anders. Als ich dann endlich mit dem passenden Kleid aus der Umkleidekabine trat, wurde Robert total weiß im Gesicht. Nicht nur weiß, sondern fast grün! Es war jedoch nicht mein Anblick, der ihn so schockierte, sondern die Übelkeit, die sich nicht mehr ignorieren ließ. Er verließ fluchtartig die Boutique und ich stand allein da mit meinem zukünftigen Brautkleid.
Blitzartig zog ich mich wieder um, verließ den Laden und suchte Robert. Er kauerte hinter dem Geschäft an einer Ecke, wo er sich heftig übergeben musste. Über das Brautkleid sprachen wir nicht mehr. Wichtig war, dass Robert uns beide noch nach Hause fahren konnte, was ihm unheimlich schwerfiel. Ständig überkamen mich Schuldgefühle, weil ich nie richtig gelernt hatte Auto zu fahren und ihn dadurch nicht entlasten konnte. Endlich waren wir wieder zu Hause und immer wieder wurde Robert von den heftigen Magenkrämpfen geschüttelt, aber einen Arzt lehnte er trotzdem immer noch ab, weil es ja schon morgen wieder besser sein könnte. Das dachte er, aber ich
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