Mexiko, mein anderes Leben (German Edition)
Flüge fast nichts erkennen. Was ich stattdessen erkannte, war ein Mann, der ziemlich grimmig dreinschaute, doch er hatte einen roten Reisepass in der Hand. Also schlussfolgerte ich: Das muss ein Deutscher sein! Meine Freude war groß, denn nun konnte ich endlich jemanden fragen, wie ich zu dem Terminal komme, wo die Flüge nach Deutschland starten. Auf meine höfliche Frage bekam ich aber eine Antwort, die genauso grimmig war, wie der Mann dreinschaute: „Sind Sie denn nicht alt genug, um allein dahin zu finden? Ich habe auch nur wenig Zeit.“ Ab diesem Augenblick wusste ich, dass ich nun von Deutschland nicht mehr weit entfernt war. Vielleicht war es nur ein dummer Zufall und ich bin dem Verkehrten begegnet, aber ähnliche Antworten bekam ich später noch oft und nur von meinen Landsleuten. Den Bus zu meinem Terminal fand ich dann doch allein und jetzt stand mir nur noch die Sicherheitskontrolle bevor, die überall immer ziemlich schnell und reibungslos verlief.
Beim Durchlaufen durch diese imaginäre Tür piepste es jedoch ständig und ich wurde genauer kontrolliert, wobei ich immer wieder auf die Uhr sah, denn meine Zeit wurde langsam knapp. Schuhe ausziehen, Hose hochkrempeln, Gürtel ab, Uhr und Schmuck weg und dann ertönte endlich kein Piepton mehr und ich durfte passieren. Doch jetzt war vor mir ein Mann, der noch stärker als ich überprüft wurde, und tatsächlich hatte er in seinem Handgepäck ein Messer versteckt. Es lag in einem präparierten Buch. Nachdem der Mann vom Zoll abgeführt worden war, musste auch ich mein Handgepäck öffnen, in dem sich auch Bücher befanden, aber kein Messer. Der Schweiß brach mir aus, denn ich hatte nur noch eine halbe Stunde Zeit, bis mein Flugzeug nach Berlin abheben sollte. Ich schmiss meine abgelegten Utensilien lose in die Tasche, schlüpfte in meine Schuhe, ohne die Schnallen zu schließen, und rannte, was ich konnte. Ich war vollkommen erschöpft und der letzte Passagier, der eincheckte. Ich ließ mich auf meinen Sitz am Fenster fallen und war wahnsinnig erleichtert. Noch zwei Stunden Flug und dann war ich in Berlin, in meiner Heimat! Der Blick in einen Spiegel erschreckte mich: Die Haare zerzaust, dunkle Ringe unter den Augen und Falten, die ich vorher nie gesehen hatte. Aber meine kleinen Hilfsmittel aus der Kosmetiktasche konnten Einiges wieder korrigieren.
Beim Landeanflug auf Berlin fing mein Herz vor Freude an zu rasen. Ich war so aufgeregt, und konnte es nicht erwarten, mein Berlin wiederzusehen. Aber Berlin empfing mich mit Regen, so wie es mich im Oktober 2004 verabschiedet hatte. Der kalte Nieselregen war mir fremd geworden in meiner neuen Heimat, in der es nur einmal bis dreimal im Jahr einen Platzregen gab. Doch noch saß ich im sicheren Flugzeug. Endlich konnte ich das grüne Berlin unter mir sehen. Tränen der Freude zerstörten mein eben wie hergestelltes Gesicht, was mir aber egal war. Schnell nahm ich meinen Koffer vom Band und wollte loslaufen und wieder frei sein. Es erwartete mich nur noch die letzte Kontrolle. Alle Reisenden vor mir konnten durchlaufen, aber ich nicht. Ein Beamter vom Zoll stoppte mich mit der Frage:
„ Nach unseren Informationen sind Sie der einzige Passagier, der von Mexiko kommt und wir wollten wissen, ob Sie Drogen oder Waffen mitbringen?” Gern hätte ich ganz ironisch und sarkastisch geantwortet, dass mein Koffer voll sei mit diesen Dingen. Aber ich verneinte ganz artig und konnte weiter gehen.
Es war nicht nur der Regen, der mich auf den Boden der Realität zurückholte. Alles erschien mir grau. Das Wetter, die Straßen, die Häuser und auch die Menschen. Sie rannten hektisch mit grimmigen, in sich gekehrten Gesichtern durch ihre Heimat, auf die ich mich so gefreut hatte. Vielleicht war es auch die Sonne im Süden, die den Menschen in Mexiko ein anderes Lebensgefühl geben konnte. Das hatte mich verwöhnt und ich hatte vergessen, dass es nicht überall so ist. Ich war erschrocken und fühlte mich in meiner Heimat nach nur einem Jahr wie eine Fremde. Ich hatte das alles vergessen, obwohl ich 47 Jahre lang hier gelebt hatte! Aber die Gegenwart ist immer mächtig und lässt die Vergangenheit ganz schnell vergessen. Es fiel mir schwer, dieses Grau ohne Sonne zu akzeptieren. Dabei hatte ich in Mexiko die Sonne oft gehasst, aber so viele Wolken und ständiger Regen, daran war ich auch nicht mehr gewöhnt. Mir war kalt und die erste Imbissbude, die war meine. Ich kann
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