Mias verlorene Liebe
hatte ihren Vater wiedergesehen, konnte beobachten, wie gut William und Grace sich verstanden … und war nun dem Ansturm der Erinnerungen ausgesetzt. Nein, gar nichts ist okay, hätte sie am liebsten hinausgeschrien.
„Na ja, nicht wirklich“, antwortete sie vorsichtig.
„Lass dir … lass ihnen Zeit, Mia.“ Genau genommen gab er nur Graces Worte weiter.
Eine schwierige Situation für alle Beteiligten. Seine Mutter wirkte zwar so gelassen und charmant wie eh und je, trotzdem kannte Ethan sie gut genug, um ihre Anspannung zu spüren. William, den Ethan schon immer für seine Entschlossenheit und Geradlinigkeit bewunderte, verhielt sich Mia gegenüber, als ginge er auf Eierschalen. Gleichzeitig verschlang er sie förmlich mit den Augen. Er schien gar nicht glauben zu können, dass sie wirklich leibhaftig vor ihm saß.
Und was Mia betraf …
Ihr war die Anspannung mehr als deutlich anzusehen. Sie wurde zunehmend bleicher, und als sie sich schließlich in ihr Zimmer zurückzog, wirkte sie, als könne sie jeden Moment ohnmächtig werden.
Ethan hatte allein im dunklen Wohnzimmer gesessen, nachdem Grace und William zu Bett gegangen waren. Deshalb bemerkte er auch, wie Mia sich nach draußen schlich.
Zunächst befürchtete er, die Vergangenheit könne sich wiederholen und Mia würde einfach still und heimlich verschwinden. Dann aber fiel ihm nachträglich ein, dass sie wohl kaum ohne ihren Koffer gehen würde.
Ein schwacher Trost, da sie ja offensichtlich am nächsten Tag bereits wieder abreisen wollte, wie er von Grace wusste.
Er hörte Mia neben sich seufzen. „Ethan, ich bin wirklich froh, dass mein Vater sich nach seinem Herzinfarkt wieder so gut erholt hat – und sogar darüber, dass deine Mutter und er anscheinend eine sehr glückliche Ehe führen.“
„Wirklich?“ Ethan konnte seine Skepsis nicht verleugnen.
Eigentlich war selbst Mia überrascht, aber es stimmte tatsächlich. Das kurze, aber aufschlussreiche Gespräch in der Küche mit Grace rief ihr wieder in Erinnerung, warum sie die einstige Direktorin so geschätzt hatte. Außerdem erkannte Mia erst jetzt, dass sie die Beziehung der beiden eigentlich nur aus Solidarität mit ihrer Mutter so vehement ablehnte.
Die letzten paar Stunden, in denen sie beobachten konnte, wie sehr die beiden einander zugetan waren, brachten ihr erst richtig zu Bewusstsein, wie wenig sie über die Ehe ihrer Eltern eigentlich wusste – und darüber, warum Grace und William sich angefreundet hatten, als Mia dort das Internat besuchte. Eine Freundschaft, die sich offensichtlich in Liebe verwandelte.
Außerdem würde nichts und niemand ihre Mutter zurückbringen.
„Ja, wirklich“, bestätigte Mia in festem Ton. „Was nichts an der Tatsache ändert, dass ich morgen wieder nach England zurückkehren werde.“
Verdammt, fluchte Ethan innerlich. Er hatte sich so viel von diesem Besuch versprochen. Weitaus mehr, als dass Mia endlich die Ehe ihres Vaters akzeptierte. Er hatte gehofft …
„Ich habe ein interessantes Gespräch mit deiner Mutter geführt …“
„Ach ja?“, antwortete Ethan zurückhaltend.
Mia blickte forschend in sein Gesicht. „Sie meint, es sei nie dein Wunsch gewesen, die Firma zu leiten.“
Ethan wünschte, er könne Mias Gesichtsausdruck besser sehen, um zu beurteilen, ob sie einfach nur aus weiblicher Neugier fragte oder aus einem echten Bedürfnis, die Wahrheit zu erfahren.
„Woraufhin du sie zweifellos darüber aufgeklärt hast, dass es schon immer mein Lebensziel war, das Unternehmen deines Vaters zu leiten.“
„Dieser Meinung war ich tatsächlich bisher immer.“
„Meinst du nicht, deine Selbstzweifel kämen ein bisschen spät?“
Eigentlich schon, gestand sich Mia ein.
Andererseits wünschte sie sich nun in Ethans Gegenwart, sich all die Jahre über seine Motive getäuscht zu haben.
Inzwischen hatten sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Sie ließ ihren Blick über Ethans Gestalt gleiten. Er trug immer noch dieselbe Kleidung wie auf der Reise: auch das graue Polohemd, das seinen athletischen Oberkörper und seine muskulösen Oberarme so gut zur Geltung brachte und seinen flachen durchtrainierten Bauch betonte. In der milden Nachtluft bekam sein dezentes Aftershave nun eine herbe, gefährlich männliche Note.
Mia fuhr sich mit der Zunge über die plötzlich trockenen Lippen, bevor sie zu einer Antwort ansetzte. „Vielleicht hast du recht. Was meinst du?“
Ethan erhob sich und trat an die Brüstung, wodurch es Mia
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