Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc
Bewegung hinaus wie ein dahinhuschender Schatten.
Es roch modrig von dem schmalen Bach her, der hinter
meinem Haus entlangfließt und der mein Fluchtweg werden
würde. An der dunklen Bruchlinie zwischen Rasen und
Gartenmauer verharrte ich reglos. Nichts. Abgesehen vom
trägen Gluckern des Bachs und fernen Geräuschen vom Hafen her war alles still. Unendlich langsam drehte ich den Kopf, scannte die Umgebung Grad für Grad mit voll aktivierter
Sensorik.
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Sie saßen in einem Wagen, der auf einem Feldweg entlang
des Zauns um das leer stehende Firmengelände am Ende
meiner Straße abgestellt war, und das vermutlich schon seit Stunden, denn die Motorhaube war bereits weitgehend
abgekühlt. Zwei Männer, die sich unterhielten und dabei immer wieder auf zwei kleine Kästen blickten, die vor ihnen auf dem Armaturenbrett standen und von denen ich gewettet hätte, dass sie kein Satellitenfernsehen zeigten. Ich beobachtete die beiden eine Weile mit dem größten Zoom, den mein Auge bot, hatte aber nicht den Eindruck, dass irgendwelche Nervosität bei ihnen aufkam. Sie zückten keine Waffen, fummelten nicht nach Sprechfunkgeräten oder dergleichen, sie unterhielten sich einfach weiter, gemächlich-gelangweilt, und ab und zu
nuckelte der hinter dem Steuer an etwas, das wie ein Trinkhalm aussah.
Ich würde mal behaupten, sie haben mich nicht gesehen.
Jäher Triumph stieg in mir auf, ließ mich breit grinsen unter meiner frostigen Maske und wischte das elende Gefühl
beiseite, den Umständen und Entscheidungen anderer wehrlos ausgeliefert zu sein. Ich stemmte mich auf Fingerspitzen und Zehen, spürte die stählernen Vibrationen der Kraftverstärker und floss geschmeidig wie ein Tropfen Rohöl hinab zum Bach.
Dieses Rinnsal zieht sich schnurgerade hinter der landwärts gelegenen Häuserreihe dahin bis vor zur Hauptverkehrsstraße, die es in einer engen, langen Betonröhre untertunnelt, um auf der anderen Seite des Kreisverkehrs als normales, tief
unterhalb des Straßenniveaus liegendes, zum größten Teil von sehenswert riesigen Farnen überwuchertes Bachbett wieder zum Vorschein zu kommen.
Dort gedachte auch ich wieder zum Vorschein zu kommen.
Wie ein schwarzer Käfer krabbelte ich über dem schmalen
Kanal dahin, mich rechts und links davon auf wackligen
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Steinen und brüchigen Erdbrocken abstützend. An zwei Stellen wird der Bach von Anbauten überdeckelt: Das eine ist ein Anbau, der zum Haus einer kinderreichen Familie gehört,
deren Vater jeden Morgen nach Killarney zur Arbeit fährt, das andere ist die Garage von Mister James Brannigan, die
bekanntlich zu Zwecken makelloser Tierpräparation etwas
größer ausgefallen ist, als es der mittlerweile verkaufte Wagen erfordert hätte. Unter diesen Bauten kroch ich hindurch, mit weitgehend angehaltenem Atem, bisweilen fast auf Höhe des modrigen Wassers.
Dann, gerade als ich mich innerlich für das Durchqueren der langen Röhre wappnete, hörte ich Stimmen über mir.
Ich zuckte zurück in den nächsten Schatten. Die Brücke. Ich hatte die kleine Fußgängerbrücke vergessen, die den Kanal kurz vor der Straße überspannt. Ein Stück weiter aus dem Ort heraus liegt ein bei Touristen beliebtes Restaurant, sodass dieser Fußweg durchaus Sinn macht.
Es waren eine Frau und ein Mann, in müßige Gespräche
vertieft, kehlig seine Stimme und keck antwortend die ihre, und zum Glück achteten beide weniger auf das Geschehen in der dunklen Tiefe vor ihnen als auf das Schwarze in den Augen des anderen. Ich erstarrte zur Reglosigkeit, was mir in meiner eisigen Montur nicht schwer fiel. Konnte ich es wagen, mich einfach unter ihren Füßen hindurchzuschleichen? Was, wenn sie aus den Augenwinkeln doch eine Bewegung wahrnahmen?
Oder in einem Moment der Verlegenheit beiseite sahen, genau in meine Augen?
Doch dann küssten sie sich, und ich wagte es. Es muss ein erster Kuss gewesen sein, denke ich, oder jedenfalls ein Meilenstein in ihrer Beziehung, denn sie sahen und hörten nichts mehr, nicht einmal den Stein kollern, den ich unter ihnen 283
lostrat vor Hektik. Unbehelligt tauchte ich ein in die enge, endlose Röhre, die fast bis ins Herz Dingles führt.
Für so etwas wie das bin ich ausgebildet worden. Ich robbte Hunderte von Yards durch den klaustrophobisch schmalen
Schacht und kam schlammbespritzt und erleichtert am anderen Ende ins Freie. Im Schutz eines der großen Farne zog ich meinen Anzug aus, rollte ihn zu einem Paket zusammen, das die Kühle noch eine
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