Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc
durchtrainiert und breitschultrig, hatte dunkles, kurzes Haar und Augen ohne jeden Ausdruck. In der Hand hielt er ein Mobiltelefon, dasselbe Fabrikat, das meine Verfolger bevorzugten.
Ich kannte ihn. Es war niemand anders als der Mann, den ich in Harold Itsumis Zimmer verfolgt hatte. Sein Mörder.
Was die beiden weiter miteinander zu reden hatten,
interessierte mich nicht mehr. Ich hatte genug gesehen. Ich ließ los und landete lautlos wie eine Katze unten auf dem Parkplatz.
Wir sitzen wieder um den großen weißen Konferenztisch in dem großen weißen Konferenzraum, in dem alle wichtigen
Angelegenheiten des Projektes besprochen werden, wir, die fünf stärksten Männer der Welt, die Prätorianer einer
zukünftigen Armee von Übermenschen, und wir fürchten, dass das noch nicht das Ende ist, dass es weitergehen wird mit uns und dass kein Entkommen mehr möglich ist.
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Es ist entsetzlich. Es ist schlimmer als Krieg. Es ist der schlimmste Tag unseres Lebens.
Gerade als es so aussah, als hätten wir die riskantesten Operationen hinter uns und als hätten es wenigstens die, die noch am Leben sind, geschafft, ist unser Kamerad Leo Seinfeld durch eine Fehlfunktion seiner Systeme getötet worden.
Wieder einmal sitzen uns gegenüber ein General, ausgezehrt diesmal, das Gesicht verkniffen, ein Schreibtischkrieger aus dem Pentagon, und ein Arzt, der uns ansieht, als begreife er überhaupt nicht, worum es eigentlich geht. »Ich kann Ihnen versichern, dass uns diese Fehlfunktion absolut unerklärlich ist«, erklärt er ein ums andere Mal, als glaube er allen Ernstes, dass uns ausgerechnet das beruhigen könnte.
Juan Gomez ist unser Sprecher. Gabriel hat ihm zugenickt und damit diese Rolle übertragen. Juan stammt von
mexikanischen Einwanderern ab und weiß, wie es ist, als
Unterprivilegierter betrachtet zu werden. Er hat gelernt, wie wichtig der korrekte Gebrauch der Sprache ist, und er hat es gut gelernt. Allein sein Wortschatz ist ehrfurchtgebietend.
Wenn er es darauf anlegt, kann er sprechen wie ein
Theaterschauspieler – wohlakzentuiert, präzise und
beeindruckend – und auf jeden Fall besser als jeder andere von uns. Er hätte einen hervorragenden Nachrichtensprecher
abgegeben.
Die Rolle entspricht zudem seinem Naturell: Wenn Juan
seine Meinung sagt, versucht er es zuerst auf eine Weise, die den anderen sein Gesicht wahren lässt. Doch wenn es sein muss, lässt er alle Rücksicht fallen, und dann wird es wirklich unangenehm für sein Gegenüber. Juan Gomez kann Worte in
Waffen verwandeln.
Und wenn er überzeugt ist, dass er Recht hat, schließt er keine Kompromisse.
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Er fängt an, unseren Standpunkt darzulegen. Der Arzt setzt zum wiederholten Mal seine halbgaren Unschuldsbeteuerungen dagegen. Juan reagiert erst zurückhaltend, doch der Arzt macht den Fehler, zu widersprechen, die Vorwürfe von oben herab abzuwehren, ein alberner Versuch, Halbgott in Weiß zu
spielen. Daraufhin nimmt Juan Gomez ihn auseinander. Nie vorher und nie mehr danach habe ich miterlebt, wie jemand derart abgekanzelt, mit Argumenten, die wie rasche, präzise, geradezu chirurgische Schwerthiebe daherkommen, förmlich in seine Bestandteile zerlegt wird. Als Juan mit ihm fertig ist, ist alles Blut, das der Mann besitzt, in seinem Kopf versammelt, und der Windhauch einer sich öffnenden Tür würde
ausreichen, ihn davonzublasen. Doch die Tür bleibt
verschlossen. Vor unseren Augen stirbt der Mann seinen
beruflichen Tod.
Eine gespenstische Stille tritt ein. Der General ist blass geworden. Offensichtlich fürchtet er, der Nächste zu sein, wenn er nicht unverzüglich handelt. Hastig greift er nach seiner Aktentasche, fördert einen Stapel Unterlagen zu Tage und fängt an zu erklären, dass zusätzliche Mittel bewilligt seien, um das Problem zu untersuchen und zu beseitigen und eine
Wiederholung des Geschehenen für alle Zeiten und unter allen denkbaren Umständen auszuschließen. Zusätzliche Mittel in erheblichem Umfang, fügt er hinzu und bekräftigt: in ganz erheblichem Umfang.
Was das konkret heiße, will Juan wissen.
Ein neues Team Konstrukteure werde gerade angeworben,
erklärt der magere General, Leute, die in keinerlei Verbindung mit den bisherigen Entwicklern stünden und völlig unabhängig von diesen arbeiten könnten. Sie würden das gesamte System noch einmal unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit
durchgehen, radikal, vorurteilslos und ohne Rücksicht auf die 291
Kosten. Es würden zum größten Teil
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