Midkemia Saga 03 - Die Gilde des Todes
ein Greis mit ein paar hauchfeinen Haarsträhnen wie weißer Rauch, die über seine Schultern fielen. Seine Hand ruhte auf der Schulter der anderen, und er ging vornübergebeugt. Unter seinem roten Gewand hob sich ein leichter Höcker ab. Die milchigen Augen, die blicklos geradeaus starrten, verrieten, daß der Greis blind war.
Doch es war das Mädchen, das sofort die Aufmerksamkeit auf sich zog. Es trug einen grobgewebten einfachen Kittel und schien etwa sieben Jahre alt zu sein – ein niedliches Ding, das die Finger an die Hand auf ihrer Schulter klammerte. Die blauen Augen waren schier riesig und beherrschten das bleiche Gesicht mit den feinen Zügen. Das Haar der Kleinen war fast so weiß wie das des Greises, doch wie von einem Hauch Gold durchzogen. Das Gefühl überwältigte Dominic, Gardan und Kasumi, daß dieses Kind vielleicht das schönste war, das sie je gesehen hatten. Und schon jetzt versprach das Kindergesicht die unvergleichliche Schönheit, zu der es sich entwickeln würde.
Kulgan führte den Alten zu dem Stuhl neben dem seinen. Das Mädchen wollte sich nicht setzen, sondern blieb hinter dem Greis stehen, beide Hände auf seine Schultern gelegt. Die Finger verkrampften sich, als befürchtete die Kleine, die Verbindung zu ihm zu verlieren. Sie blickte die drei Fremden wie ein in die Enge getriebenes Wild an und bemühte sich nicht, ihr Mißtrauen zu verhehlen.
»Das ist Rogen«, stellte Pug vor.
Der Blinde verbeugte sich knapp. »Mit wem habe ich die Ehre?«
Trotz der unübersehbaren Altersrunen wirkte das Gesicht lebhaft und aufgeschlossen. Er hielt es lächelnd schräg geneigt, als könne er so besser hören. Es war ganz offensichtlich, daß er sich, im Gegensatz zu dem Mädchen, freute, neue Menschen kennenzulernen.
Pug stellte ihm die drei Männer vor, die Kulgan und Rogen gegenübersaßen. Der Blinde lächelte freundlich. »Ich freue mich, euch kennenzulernen, edle Herren.«
»Und dies ist Gamina«, sagte Pug.
Dominic und die anderen zuckten unwillkürlich leicht zusammen, als ein Hallo in ihren Köpfen erklang.
Die Lippen des Mädchens hatten sich nicht bewegt. Es stand reglos und hatte die großen blauen Augen auf sie gerichtet.
»Hat sie gesprochen?« fragte Gardan.
»Mit dem Geist«, antwortete Kulgan. »Eine andere Möglichkeit zu sprechen, hat sie nicht.«
Rogen faßte nach den Händen des Mädchens, um sie zu streicheln. »Gamina wurde mit dieser Gabe geboren. Allerdings hat sie ihre Mutter mit ihrem lautlosen Schreien als Baby fast in den Wahnsinn getrieben.« Das Gesicht des Greises wurde sehr ernst.
»Gaminas Eltern wurden von den Bewohnern ihres Heimatorts gesteinigt, weil sie angeblich einen Dämon in die Welt gesetzt hatten. Arme, abergläubische Menschen waren es. Sie wagten jedoch nicht, das Kind zu töten, da sie befürchteten, es könnte seine ›wahre‹
Gestalt annehmen und sie alle umbringen. Also setzten sie es im Wald aus, damit es dort erfriere und verhungere. Gamina war damals noch keine drei Jahre alt.«
Das Mädchen schaute den Greis eindringlichen Blickes an. Er drehte sich zu ihm um, als könne er es sehen, und sagte: »Ja, da fand ich dich.«
Er wandte sich an die anderen. »Ich lebte im Wald, in einer verlassene n, ehemaligen Jagdhütte, auf die ich gestoßen war. Auch mich hatte man aus meinem Heimatdorf vertrieben, doch bereits Jahre früher. Ich hatte den Tod des Müllers vorhergesagt, und dann gab man mir die Schuld daran. Man beschimpfte mich als Hexer.«
Pug erklärte: »Rogen hat die Gabe des Zweiten Gesichts, vielleicht als Ausgleich für seine Blindheit. Er wurde schon ohne Augenlicht geboren.«
Rogen lächelte. »Wir sind uns auf viele Weise gleich, sie und ich.
Ich hatte mir bereits Gedanken gemacht, was aus Gamina werden würde, wenn ich nicht mehr bin.« Er unterbrach sich, um sich dem Mädchen zuzuwenden, das bei seinen Worten zu zittern begonnen hatte. »Ruhig!« mahnte er sanft. »Natürlich werde ich sterben. Das muß ein jeder. Doch hoffe ich, daß es noch nicht so bald sein wird«, fügte er schmunzelnd hinzu, ehe er weitererzählte. »Wir kamen von einem Dorf nahe Salador. Als wir von diesem wundersamen Ort erfuhren, machten wir uns auf den Weg. Wir brauchten sechs Monate, bis wir hier anlangten, hauptsächlich meines hohen Alters wegen. Und nun haben wir Menschen gefunden, die wie wir sind, die in uns eine Quelle der Hilfe und des Wissens sehen und die uns nicht fürchten. Wir sind zu Hause!«
Dominic schüttelte verwundert
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