Milano Criminale: Roman (German Edition)
Valerio Pugliesi. Ein schweigsamer, zweiundzwanzigjähriger Mann aus Bari, klein von Statur, mit ungewöhnlich tiefen Geheimratsecken für sein Alter und das Gesicht gezeichnet von einer schlimmen Akne, die er scheinbar erst vor kurzem losgeworden ist.
Die Katholische Universität zu Mailand ist in einem ehemaligen Kloster aus dem fünfzehnten Jahrhundert untergebracht, und fasziniert betrachtet der Commissario im Gehen den Bramante-Kreuzgang. Um gleich darauf wieder als Polizist zu denken.
»Hier ungesehen rauszukommen war sicher nicht ganz leicht«, merkt er an.
Pugliesi nickt.
»So, da sind wir«, verkündet er kurz darauf. »Aufgang G, zweiter Stock. Man hat sie auf der Damentoilette im Zwischengeschoss gefunden.«
Sie gehen hinauf. Im Flur treffen sie auf den Leiter der Mordkommission, Piazza, und die Männer von der Spurensicherung, die Fotos machen und Fingerabdrücke nehmen. Drum herum neugierige Studenten und ein paar Professoren, darunter viele Patres im Priestergewand.
»Was suchst du denn hier?«, empfängt ihn sein Ex-Chef.
»Ciao«, begrüßt ihn Santi. Seit sie den gleichen Dienstgrad haben, duzen sie sich. »Ich kannte sie«, fügt er erklärend hinzu.
Seinem Gegenüber huscht ein fast ummerkliches Zucken über das Gesicht, doch er erwidert nichts. Er leitet die Ermittlungen, sicher, aber er kann keinen Kollegen mit Fußtritten verjagen, der vielleicht wichtige Informationen hat.
»Darf ich mal schauen?«
»Bitte schön.«
Santi tritt auf Zehenspitzen über die Schwelle, und sofort zieht sich sein Magen zusammen. Der Toilettenraum ist klein, drei Waschbecken auf der rechten Seite und ein paar WC -Kabinen. Dazwischen liegt das Mädchen auf der Erde in einer großen Blutlache, auf die rechte Seite gedreht. Sie ist angezogen, doch das viele Blut ist schockierend: auf dem Boden, an den Wänden, am Türgriff.
»Sandra«, flüstert Antonio und schließt einen Moment die Augen. Er hat sie wiedererkannt, das Mädchen mit dem Blumenkleid aus der Via Osoppo.
›Wie schön sie ist‹, schießt es ihm unwillkürlich durch den Kopf, während er sie ansieht. Er schämt sich fast für den Gedanken, angesichts dieses durch Wunden verunstalteten Körpers. Sie wurde mit mindestens dreißig Messerstichen getötet, ein regelrechtes Massaker, blinde Wut gegen eine junge Frau auf der Toilette einer Universität, und nicht irgendeiner Universität, sondern der privaten Katholischen Universität vom Heiligen Herzen.
Ein widerlicher Geschmack steigt ihm in den Mund, und um ihn zu vertreiben, zündet er sich auf dem Korridor schnell eine Zigarette an.
»Was wisst ihr?«, fragt er Piazza.
»Sie muss eine Studentin gewesen sein.«
»Nein, aber früher hat sie hier studiert. Sie hat vor zwei Jahren ihren Abschluss gemacht.«
»Was zum Teufel hatte sie dann hier zu suchen?«
Santi zuckt mit den Schultern. »Irgendwelche Spuren?«, fragt er und bietet seinem Kollegen eine Zigarette an. Piazza zündet sich eine an und zeigt mit einer Kopfbewegung auf die Leiche.
»Sieh dir an, wie schön sie ist, so eine hat doch eine ganze Schlange von Verehrern vor dem Haus stehen. Ein zurückgewiesener Liebhaber?«
»Glaube ich nicht, sie war darin eher altmodisch.«
»Wie altmodisch?«
»Katholische Familie und der Onkel Priester.«
»Das sind bekanntermaßen die Schlimmsten …«
Santi wirft ihm einen bitterbösen Blick zu, den der andere ignoriert.
»Wann wurde sie gefunden?«
»Heute Morgen, eineinhalb Stunden bevor die Uni aufmachte. Ein Seminarist, Student an der Philosophischen Fakultät, hat einen Wasserhahn laufen hören und sich gewundert.«
»Und ist in die Frauentoilette gegangen?«
»Im Priesterseminar lässt man nicht einfach den Wasserhahn laufen, weißt du das nicht, Santi? Jedenfalls kam mir das auch verdächtig vor, aber er hat mit der Tat nichts zu tun: Die Fingernägel des Mädchens sind abgebrochen, sie hat sich gewehrt, und die Spurensicherung hat Hautpartikel ihres Mörders gefunden. Der Seminarist jedoch hat keinen einzigen Kratzer oder Spuren von Blut an sich. Er war es nicht.«
Commissario Piazza muss seinen Bericht mehrmals unterbrechen wegen des großen Lärms, der von draußen hereindringt.
»Was ist denn da los?«, fragt Antonio.
Sein Gegenüber deutet auf das Fenster. Im Erdgeschoss arbeiten ein paar Maurer mit dem Presslufthammer.
»Sie renovieren gerade diesen Flügel des Gebäudes. Schon seit Tagen. Die Bauarbeiter werden wir auch vernehmen müssen.«
»Danke, dass ich mal
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