Milas Lied
auf. »Danke für den Tee.«
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, auch wenn ich es schade fand, dass Mila so plötzlich gehen wollte. Da fing sie auch schon an, neben der Bühne nach ihren Sachen zu kramen, und zog sich ihren Parka über. Sofort kam ein Typ auf sie zu und redete auf sie ein. Bestimmt noch ein Groupie. Ich hörte nicht, was er zu ihr sagte, ich sah nur, wie Mila in Zeitlupe ihre weinrote, schneeflockenlose Wollmütze aufsetzte und sich den Gitarrenkoffer über die Schulter warf. Theo zuckte nur mit den Schultern und stand auf. Als er an Mila vorbeiging, legte er ihr eine Hand auf die Schulter und sagte ihr etwas ins Ohr. Dann ging er in Richtung Bar. Ich hätte zu gern gewusst, was er zu ihr gesagt hatte! Erstaunlich genug, dass er nach dieser Abfuhr auch nur eine Silbe für Mila übrig hatte. Was für eine komische Nacht. Auch Milas Fan konnte Mila offensichtlich nicht dazu bewegen, ihre Mütze wieder abzusetzen, und verabschiedete sich. Da drehte sich Mila noch einmal um und kam auf mich zu. Sie beugte sich zu mir herunter und hüllte mich ein in eine schwach duftende Wolke aus Pfefferminz.
»Morgen um zwei, Görlitzer Bahnhof?«, fragte sie.
Hatte ich mich verhört? Wollte sich Mila gerade mit mir verabreden?
Als sie mich wartend ansah, nickte ich und wusste im selben Moment, dass Achim mich umbringen würde, wenn ich ihm die Sonntagsschicht so kurzfristig absagte. Aber mit einer Magen-Darm-Grippe war nun mal nicht zu spaßen. Selbst wenn sie frei erfunden war.
Mila lächelte, hob die Hand und wandte sich zum Gehen. Tschüss, Mila. Tschüss, Werner. Ich sah ihr hinterher und musste quietschten vor Freude. Ganz kurz. Ganz leise.
Auf der Bühne hatten sich inzwischen ein paar Jungs zusammengefunden, die genügsam vor sich hin jammten und eine hübsche Geräuschtapete produzierten. Mila wäre als Tapete völlig ungeeignet.
Eigentlich hätte dieser Abend eine gute Gelegenheit sein können, um Theo mal was zu fragen. Immerhin war es der erste Abend seit Silvester, den wir zumindest zeitweise zu zweit verbrachten. Ich guckte ihm eine Weile dabei zu, wie er Nachrichten in sein Handy tippte, und fragte mich, was ich nach über einem Vierteljahr eigentlich wirklich von ihm wusste. Ich wusste, dass er einundzwanzig Jahre alt war, Skorpion, dass er beruflich irgendwas mit Computern machte, vierlagiges Klopapier für eine bescheuerte Erfindung, zweilagiges für eine Zumutung hielt und nach einer durchgemachten Nacht am liebsten Fleischsalatbrötchen mit Spiegelei aß. Ich wusste auch, dass Theo im Grunde seines Herzens kein schlechter Kerl war, und dass er als kleiner Junge mal einen noch kleineren Jungen vorm Ertrinken gerettet hatte. Ich hatte aber keine Lust, mich erst in irgendeinen See stürzen zu müssen, damit er mich beachtete. Außerdem waren jetzt alle Seen zugefroren.
Bereits in der nächsten Sekunde ödete mich Theos Desinteresse an mir zum ersten Mal richtig an. Ich tippte ihm auf die Schulter, er sah von seinem Display auf, ich sagte, dass ich gehe und ging.
Die Tür zur Katze fiel hinter mir ins Schloss und ich saugte die eiskalte Nachtluft ein. Vom Himmel schwebten dicke Flocken. Ich streckte die Hand aus und sah ihnen beim Schmelzen zu. Wie leise die Nacht war. Ich schlug den Weg zur U-Bahn ein und stampfte Schlangenlinien in den frischen Schnee.
Vielleicht werde ich…
Vielleicht werde ich im nächsten Leben ein Wal.
Keine Ahnung, wann…
Keine Ahnung, wann Theo nach Hause gekommen war, ob er überhaupt schon geschlafen hatte oder mit wem. Fakt war nur, dass der Geruch nach gebratenem Speck und Spiegelei mich gegen Mittag in unsere Küche lockte. Ich hatte am Abend zuvor vergessen, Kohlen zu holen, und das warme Federbett war definitiv der einzig bewohnbare Platz in meinem Zimmer. Also wickelte ich mich kurzerhand in die Bettdecke ein und nahm sie mit in die Küche, wo es bestimmt über null Grad war und köstlich nach Frühstück duftete. Theo stand in T-Shirt und Jogginghose am Herd und war in seine Spiegeleier vertieft. »Spät geworden gestern?«, fragte ich und versuchte, mich in dem ausladenden Gänsedaunenkleid meiner Oma auf einen unserer Küchenstühle zu setzen, ohne das gebrechliche Ding unter meinem Hintern zu sehr zu erschrecken.
»Hm«, machte Theo und schwenkte konzentriert die Spiegeleier.
»Kann ich auch eins haben?«, fragte ich hoffnungsvoll, als Theo einen Teller aus dem Schrank holte.
»Klar«, murmelte er, griff nach einem zweiten Teller und
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