Milchrahmstrudel
Sie fand eine breite Lücke zwischen einem Mercedes mit dem Nummernschild DEG EH 20 – e.h., Erwin Hanno? – und einem Pick-up mit der Aufschrift »Elektro-Hartel«, stellte den Motor ab und blieb sitzen.
Zaudernd fragte sie sich, weshalb sie eigentlich so früh gekommen war.
Was denn? Willst du nun Nachforschungen anstellen oder nicht? Du kannst natürlich auch eine halbe Stunde lang im Auto »unser Radio« hören, bis Tante Luise ihren Mittagsschlaf beendet hat!
Fanni stieg aus.
Sie betrat das Gebäude wie üblich durch den Hintereingang, ging den kurzen Flur entlang und blieb vor der Tür des Aussegnungsraums stehen.
Glaubst du, Roland liegt aufgebahrt da drin?
Als Fanni auf die Klinke drücken wollte, wurde sie von einer Stimme in ihrem Rücken daran gehindert. »Keine Tote heute in Leichekammer.« Die Worte wurden vom Geräusch schwappenden Wassers begleitet.
Fanni drehte sich um und sah sich einer älteren Frau mit Putzwägelchen gegenüber. Die Frau sah müde aus, matt und abgekämpft. Sie steckte in einem grünen Kittel, ähnlich wie ihn OP - Schwestern tragen, allerdings um etliche Farbtöne heller.
»Aber gestern wurde der Aussegnungsraum extra für einen neuen Todesfall hergerichtet«, widersprach Fanni.
Die Putzfrau schüttelte den Kopf. »Nicht mehr tote Hausbewohner seit alte Bonner.«
Tante Luise weiß eben bestens Bescheid!
Und der Hausmeister nicht?, fragte sich Fanni.
Aufrührerisch sagte sie zu der Putzfrau: »Ich habe selbst gesehen, wie der Hausmeister frische Kerzen und Blumengestecke verteilt hat.«
Die Frau ließ ihren Lappen in den Wassereimer gleiten, bewaffnete sich mit einem Staubwedel und rückte damit einer Wandlampe zuleibe. »Nix frische Blume, kinstlich. Wenn keine Tote in Leichekammer – manchmal auch wenn arme Tote in Leichekammer –, kinstliche Pflanze von Heimleitung für hibsche Dekoration.«
Fanni fragte sich, wo die Frau wohl herkam. Tschechien? Weißrussland? Kroatien? Sie nickte ihr lächelnd zu und wollte schon die Treppe hinaufgehen. Doch dann hielt sie noch mal inne. »War diese Treppe hier gestern nicht sehr fleckig?«
Die Frau unbekannter Herkunft steckte den Wedel in eine Halterung an ihrem Putzwagen, dann schwenkte sie den Lappen ein paarmal im Eimer herum, wrang ihn aus und kam zum Fuß der Treppe. »Nix schmutzig. Alle Stufe sauber. Geländer nix schmierig wie sonst. Wand bisschen grindig schon länger, braucht frische Farbe.« Sie begann, den Handlauf an der Wand entlang abzuwischen, und stieg dabei Stufe um Stufe nach oben. Fanni folgte ihr.
Auf der letzten Stufe vor dem Treppenabsatz stutzte die Putzfrau plötzlich.
Fanni trat näher und sah, was ihr aufgefallen war. An der Wand befanden sich Flecken, unregelmäßige leicht bräunliche Flecken.
Wieso hab ich die gestern nicht bemerkt?, fragte sich Fanni und spürte, wie ihr bei der Vorstellung, was diese Flecken bedeuten konnten, siedend heiß wurde.
Weil gestern Abend das Sonnenlicht nicht drauffiel, so wie jetzt!
Die Putzfrau begann, die Flecken mit ihrem Lappen zu bearbeiten. Sie ließen sich wegreiben; auf dem Lappen blieben braune Spuren zurück. Fanni hätte der Frau am liebsten Einhalt geboten, Lenis Freund Marco, den Kriminalkommissar, angerufen und an ihn appelliert, unverzüglich ein Team der Spurensicherung herzuschicken.
Das wirst du schön bleiben lassen! Was, wenn hier nur jemand Kaffee verschüttet hat oder Schmutzwasser? Aber selbst wenn es sich um Blut handelt, wer sagt denn, dass es von Roland stammt? Nachprüfen lässt sich das ja bestenfalls, wenn er auftaucht, womit sich die Sache wiederum von selbst erledigt hätte!
Enttäuscht stieg Fanni die Treppe weiter nach oben. Sie dachte an DNA -Vergleich, an Hautschüppchen, die von Roland Beckers Arbeitskleidung sichergestellt und mit einer Probe der verfärbten Wandstelle verglichen werden konnten, musste sich aber eingestehen, dass kein Richter der Welt auf ihre unbewiesene Aussage hin so etwas anordnen würde.
Missmutig steuerte sie auf Tante Luises Zimmer zu.
Als sie an der Tür vorbeikam, hinter der laut Luise die sieche Frau Nagel ihren baldigen Tod erwartete, öffnete sie sich, und Schwester Monika trat in den Flur. Die hübsche dunkelhaarige Schwester trug ein Tablett, auf dem sich eine ganze Reihe jener winzigen durchsichtigen Plastikbecher befand, in denen in der Katherinenresidenz die Medikamente ausgegeben wurden.
Fanni grüßte, und im selben Augenblick geschah es. Schwester Monikas Mund verzog sich zu
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