Milchstraße - Geschichten von der großen Liebe (German Edition)
Meter heran. Wir können die Blicke nicht voneinander lassen. Dann geht er quer über den Marktplatz in eine andere Richtung.
Mein Herz rast. Ich frage meine Freunde: „Habt ihr diesen Typ gesehen? Habt ihr diese Erscheinung gesehen?“ Ich bin wie verzaubert, habe weiche Knie. Was ist das für ein Mann! Was für Augen! Ich kann es nicht fassen. Meine Freunde blicken mich verwundert an.
Wir stehen auf und bummeln durch die Altstadt. Eine halbe Stunde später spricht mich jemand von der Seite an: „How are you?“ Ich drehe mich um und blicke in die strahlenden Augen von Jesus. „I am German“, antworte ich. Er wechselt augenblicklich in ein perfektes Deutsch mit bayrischem Akzent. Wir unterhalten uns eine Weile. Meine Freunde merken, was Sache ist, und verabschieden sich: „Wir fahren in eineinhalb Stunden zurück. Lass uns am Auto treffen.“
Ich ziehe mit meinem Jesus los und wir setzen uns etwas außerhalb an die Stadtmauer. Wir reden, reden, reden. Wir erzählen uns in eineinhalb Stunden unser Leben. So etwas habe ich noch nie erlebt.
Er ist ein spanischer Reiseleiter und wohnt in Madrid. Wir tauschen unsere Telefonnummern aus. Zum Abschied nehmen wir uns in den Arm und küssen uns. Die Erde wankt.
Meinen Freunden erzähle ich von diesem Wahnsinnsmenschen. Noch nie ging etwas so tief. Ich spüre mein Herz in jeder Faser meines Körpers klopfen. Ich kann nicht mehr denken.
Drei Wochen später ruft er an. Wir telefonieren eine Ewigkeit. Er sagt: „Ich bin im September in München. Kommst du?“ - Klar komme ich.
Ich erzähle meinen Freunden und meiner Mutter von Jesus. Die meint: „Du bist verrückt. Das kannst du doch nicht machen. Ein fremder Mann, wenn dir was passiert.“
Aber ich mache mit ihm aus, dass er mich am Bahnhof abholt. Ich packe ein paar Sachen, fahre mit dem Fahrrad zum Bahnhof und setze mich in den Zug nach München.
München: Sackbahnhof, ewig langer Bahnsteig. Ich steige aus, laufe den Bahnsteig entlang. Laufe und laufe und niemand ist zu sehen. Ich bin schon fast am Ende, da kommt sie um die Ecke, meine Jesus-Erscheinung! Ich freue mich wie ein Kind. Ich hüpfe ihm in die Arme und wir erdrücken uns fast.
Wir bringen meine Sachen ins Hotel und gehen sofort aufs Oktoberfest. Ich trinke die erste Mass Bier meines Lebens. Wir ziehen durch die Zelte und lachen und schmiegen uns aneinander. Wahnsinn!
Er erzählt mir, dass er sich als Kind immer eine Geburtstagstorte mit Kerzen gewünscht hat. Wir stellen fest, dass er zwei Jahre älter ist, als ich und ein paar Tage vor mir Geburtstag hat. Wir sind beide Skorpione, 23 und 25 Jahre alt.
Im Hotelzimmer haben wir eine leidenschaftliche Nacht. Der nächste Tag ist wie ein Wunder. Und die nächste Nacht mit allem, was mein Herz begehrt - und mein Leib! Diese Vertrautheit und Offenheit, dieses Körpergefühl. Einmalig!
Am Sonntag bemerken wir auf dem Weg zum Bahnhof, dass wir eine Stunde zu früh sind Eine geschenkte Stunde. Das macht mich froh. Beim Abschied meint Jesus: „Ich habe noch ein paar Touren. Danach bekomme ich vier Wochen Urlaub. Was hältst du davon, wenn ich eine Woche zu dir komme?“ Wie schön! Ich kann es kaum abwarten, ihn wieder zu sehen.
Eine Weile höre ich nichts von ihm und denke mir, das ist es gewesen. Kurz vor seiner letzten Tour meldet er sich und kommt mich tatsächlich besuchen. Aus einer Woche Urlaub werden vier und sein 25. Geburtstag steht vor der Tür. Es ist Samstagabend und wir wollen in seinen Geburtstag hinein feiern. Um Mitternacht serviere ich ihm eine selbst gebackene Schwarzwälder-Kirschtorte mit 25 brennenden Kerzen.
Seine Augen sind riesengroß. Er steht mit feuchten Augen vor mir. Sein Kindheitstraum erfüllt sich! Es wird ein schönes Fest.
Er muss wieder nach Madrid. Ich bin so verknallt in Jesus, dass ich alle Hebel in Bewegung setze, um eine Mitfahrgelegenheit nach Madrid zu bekommen. Doch ich finde niemanden.
Wir telefonieren erst wieder im Januar miteinander. Danach höre ich sehr lange nichts mehr von ihm. Ein Jahr später klingelt mitten in der Nacht das Telefon und Jesus sagt: „Ich bin mit Freunden unterwegs, habe ihnen unsere Geschichte erzählt und dachte, ich rufe dich mal an.“ Wir telefonieren eineinhalb Stunden. Es ist so, als wäre er gestern erst hier gewesen.
Das war unser letzter Kontakt. Ich habe seine Visitenkarte bis 2007 in meiner Kommode aufbewahrt und erst bei einem Umzug weggeworfen. In den letzten Tagen, bei meinem Einzug in die neue Wohnung, kommen die
Weitere Kostenlose Bücher