Mira und das Buch der Drachen (German Edition)
enger um den Hals und kletterte die schneebedeckte Leiter nach unten. Dort angekommen, lehnte sie sich gegen den Stamm der Eiche und sah über den Weiher.
Wie hell es hier war. Und wie schön! Nach den vielen grauen Tagen schien endlich die Sonne und wärmte Mira auf. Die Eisfläche lag wie eine glitzernde Verheißung vor ihr. In der Luft tanzten winzige Kristalle in der Sonne. Lange Wassertropfen hingen zu Eis erstarrt an den Spitzen der Zweige, sodass es aussah, als trüge die Eiche Tausende Diamanten. Manche der Eiszapfen lösten sich und fielen, kurz im Sonnenlicht aufblitzend, sanft auf den weichen Boden.
Mira zog die Kugel aus ihrer Manteltasche. Die Sonnenstrahlen brachen sich in ihr und alle Farben des Regenbogens glänzten in ihrem Inneren. Mira atmete kurz durch. Es gab eigentlich nur eine Person, die ihr im Moment weiterhelfen konnte.
»Zeig mir Tante Lisbeth!«, sagte sie.
Die Farben des Regenbogens verblassten, Wolken zogen schnell über die Oberfläche der Kugel, und als diese sich verflüchtigten, sah Mira die gemütliche Küche in ihrer Wohnung.
Dampf stieg an den Seiten eines Wasserkochers auf und eine komisch verzerrte Tante Lisbeth schüttete das heiße Wasser in die rot-weiß gestreifte Teekanne.
Fieberhaft überlegte Mira, durch welchen Spiegel sie Tante Lisbeth sehen konnte. Als dann das Bild seltsam zitterte und Tante Lisbeth ganz nahe kam, sodass man das Muster auf ihrer bunten Schürze erkennen konnte, fiel Mira ein, dass sie sich in dem silbernen Toaster spiegeln musste. Er hatte wohl gerade die Toasts ausgespuckt, denn Tante Lisbeth ging mit zwei gebräunten Scheiben in der Hand zu dem gedeckten Frühstückstisch im Hintergrund des Zimmers zurück. Miras Magen knurrte heftig. Erst jetzt merkte sie, was für einen gewaltigen Hunger sie hatte.
Gerade wollte sie Tante Lisbeth rufen, als in der Küche eine andere Stimme zu sprechen anfing. Es war eine dunkle Männerstimme.
»Jetzt muss ich nur noch die Heizkörper in den Zimmern entlüften und dann ist in einer halben Stunde alles wieder warm. Sie werden schon sehen.«
»Das will ich mal hoffen!«, sagte Tante Lisbeth schneidend und setzte sich.
Jetzt konnte Mira auch den Mann sehen, der eben gesprochen hatte. Sie musste sich mit der Hand auf den Mund schlagen, um kein Geräusch zu verursachen.
Dort in ihrer Küche befand sich der Mann, der sie verfolgt hatte. Er stand in dem gleichen blauen Overall, den er schon gestern getragen hatte, in ihrer Küche, trank mit schnellen Schlucken einen Kaffee und kratzte sich unter seiner dicken schwarzen Wollmütze.
»Also, ich fang dann mal in dem Zimmer hier drüben an«, murmelte er. Mira konnte sehen, wie er aus der Küche lief. Die schwarzen Zauberer suchten sie also immer noch! Sie musste ihre Tante warnen! Die schmierte sich gerade mit energischen Messerstrichen Butter auf den Toast.
»Ah, ein Kinderzimmer!«, sagte der Mann nach einer Weile. Mira hielt die Luft an. Er musste wohl draußen auf dem Gang vor ihrem Zimmer stehen.
»Es tut mir leid, dass es so unaufgeräumt ist«, sagte eine weibliche Stimme. Miras Mutter!
»Ach«, brummte der Mann, »das macht nichts. Ich habe selber Kinder und weiß, wie das ist.« Er räusperte sich. »Und Ihre Kinder sind wohl vor der Kälte geflohen, was?«
Mira konnte die Anstrengung in seiner Stimme hören, als er versuchte, so beiläufig wie möglich zu klingen. Auch Tante Lisbeth schien das nicht entgangen zu sein. Sie ließ ihren Toast sinken und lauschte gespannt dem weiteren Gespräch.
»Ich habe nur eine Tochter. Und die ist im Moment nicht da«, erklärte Miras Mutter.
Mira biss sich auf die Lippe.
»Na, wenn sie dann zurückkommt, dann hat sie es ja schön warm. Sie wird ja nicht lange weg sein?«, fragte der Mann. Seine Stimme klang immer noch kaum interessiert, hatte aber plötzlich etwas Lauerndes.
»Nein«, sagte Miras Mutter zögernd. »Bestimmt nicht. Sie, ähm ...«
Durch Tante Lisbeth ging ein Ruck.
»Wollen Sie eigentlich noch einen Kaffee?«, fragte sie plötzlich laut und eilte mit der Kaffeekanne nach draußen. Mira hörte, wie sich der Mann brummend für den Kaffee bedankte und sich Miras Mutter anschließend rasch verabschiedete. Dann fiel die Wohnungstür ins Schloss.
»Und jetzt beeilen Sie sich mit dem Entlüften und stellen nicht mehr so viele Fragen!«, sagte Tante Lisbeth barsch. Sie kam mit der Kaffeekanne zurück in die Küche, setzte sich und bestrich mit grimmigem Gesichtsausdruck weiter ihren Toast.Mira
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