Mira und das Buch der Drachen (German Edition)
»Normalerweise habe ich keine Gesellschaft. Und dann spreche ichmit dem Toaster, dem Kühlschrank, dem Ofen und manchmal auch mit der Uhr!« Sie trat zur Uhr über der Küchenzeile und klopfte auf die Scheibe vor dem Ziffernblatt. »Na, willst du mir wieder die Zeit verraten?«
Der Mann starrte sie mit offenem Mund an.
»Und manchmal, an langen Winterabenden, habe ich eine längere Konversation mit der Kaffeekanne!« Sie tätschelte den Hals der gestreiften Kanne.
Dann stand sie auf und ging gefährlich nahe an den Mann heran. Ihre Augen funkelten. »In Wirklichkeit bin ich nämlich verrückt, müssen Sie wissen!«
11. Kapitel
in dem Mira sich gleich doppelt heimatlos fühlt
Das Bild in der Kugel wurde unscharf. Tante Lisbeth und der Handwerker verschwanden in einem grauen Nebel, der jetzt die ganze Kugel ausfüllte. Mira wischte eilig mit dem Ärmel über die Glasoberfläche. Doch der Nebel ballte sich nun zu kleinen Wolken, die schnell über die Kugel wanderten und sich dann auflösten. Schließlich war die Kugel wieder so leer wie in dem Moment, als Mira sie zuerst entdeckt hatte, und die Strahlen der Wintersonne brachen sich in ihr.
Mira fröstelte. Dann schloss sie die Augen und stellte sich das vor, was sie nun in der Kugel nicht mehr sehen konnte. Sie sah, wie der Mann in ihr Zimmer ging, sich ihre Bücher anschaute und in ihren Kisten herumwühlte. Gab es irgendwelche Dinge darin, die mit den Zauberern zu tun hatten? Die Dose mit der eingravierten Amsel vielleicht und auch die Kette mit der Vogelpfeife.
Und sonst? Mira öffnete die Augen wieder und blickte über das blitzende Eis. Sonst gab es nichts Verräterisches. Trotzdem, der Gedanke daran, dass ein Fremder in ihrem Zimmerwar und mit ihrer Mutter und ihrer Tante sprach, ließ ein flaues Gefühl in ihrem Magen entstehen. Mira fühlte sich, als hätte sie kein Zuhause mehr. Jedenfalls keines, das ein sicherer Ort zu sein versprach.
»Was machst du da eigentlich?« Mira zuckte zusammen und drehte sich um. Hinter ihr stand Milena. Sie musste eben leise die Leiter hinuntergestiegen sein. Die Sonne schien auf ihre braune Mähne und sie strich sich eine Strähne ihres lockigen Haares aus dem Gesicht. Ihre dunklen Augen waren fast schwarz und sie musterten Mira und die Kugel mit dem größten Misstrauen. Warum hatte Mira sie jemals für gutmütig gehalten?
»Es ist verboten, ohne einen Beschluss der Gemeinschaft in die Kugeln zu sehen!«
Mira sah sie verwirrt an.
»Wir haben das diesen Herbst so festgelegt«, fügte Milena hinzu.
»Ach so«, erwiderte Mira, ohne dass sie wirklich verstand. »Welche Gemeinschaft?«
»Corrado, Rabeus, Miranda und ich«, erklärte Milena. »Die letzten der weißen Zauberer.«
»Bis auf Hippolyt«, rutschte es Mira heraus. Und auf mich! , wollte sie leise hinzufügen, aber sie biss sich auf die Lippe. Gehörte sie denn dazu? War sie eine von ihnen? Oder war sie nur das dahergelaufene Menschenkind, dem der Drache ein paar magische Eigenschaften vermacht hatte und das nun deshalb in ziemlichen Schwierigkeiten war? Bestimmt sah Milena sie so. Nein, in ihren Augen gehörte sie sicher nicht dazu. Ein eigentümlicher Schmerz stieg aus Miras Magen hoch und bohrte sich in ihre Brust.
Milena sagte nichts. Sie starrte Mira nur an und streckte dann langsam die Hand aus. »Gib mir jetzt die Kugel!«
Widerstrebend legte Mira den wertvollen Gegenstand in Milenas Hände. Dann erst spürte sie, wie eiskalt ihre Finger waren, und sie steckte sie rasch in ihre Manteltaschen. Milena umschloss die Kugel mit ihren Händen und schob sie dann in die Fransentasche, die über ihrem rechten Arm hing. Ihre Augen hefteten sich auf Mira. »Das war die Fernsichtkugel«, stellte sie fest.
Mira schwieg.
»Mit wem hast du gesprochen?«
Mira zögerte. »Mit meiner Tante.«
»Und wieso das?«
»Ich wollte wissen, ob meine Mutter sich Sorgen macht.«
Milena schüttelte ungläubig den Kopf. »Und wegen so was bringst du uns alle in Gefahr?«
Mira kam sich vor wie ein kleines Kind. Sie schluckte. »Es war wichtig! Ich musste meine Tante warnen. Die schwarzen Zauberer sind bei uns in der Wohnung!«
»Das macht das Ganze nicht besser!«, entgegnete Milena. »Was hast du dir dabei gedacht, die Kugel einfach so an dich zu nehmen? Gerade du müsstest doch wissen, wie gefährlich diese Dinge sind.«
In Mira erwachte der Widerspruchsgeist. Milena tat gerade so, als hätte sie ein Verbrechen begangen. »Ich habe vorher schon einmal in die
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