Mira und das Buch der Drachen (German Edition)
verärgert auf das Silbermännchen herab. »Rede keinen Unsinn! Ich kenne alle Geheimnisse!«
Das Silbermännchen wirkte äußerlich ganz ruhig, doch durch den Nebel, der nun langsam in ihr hochstieg, bemerkte Mira, wie sein Fuß nervös auf der Tischplatte auf und ab wippte. Schnell und immer schneller.
»Ihr denkt vielleicht, hier geht es um Miras Leben.« Das Geistwesen trat näher an die schwarze Hexe heran. »In Wirklichkeit geht es aber um das Eure!«
»Schluss mit dem Geschwätz!«, unterbrach die schwarze Hexe es und schob langsam das Buch auf dem Tisch an ihm und an den Kugeln vorbei zu Mira. »Los! Beschwöre den weißen Drachen! Beschwöre Cyril! Ich will noch ein letztes Mal mit ihm sprechen!«
Mira blickte auf die beiden Drachen. Jetzt, da sie sich den schwarzen Drachen genauer ansah, erinnerte er sie an jemanden. Dass ihr das vorher nicht aufgefallen war! Oder war es nur eine Vorstellung, die ihr armer kranker Kopf ihr vorgaukelte?
»Ich hoffe, du weißt den Spruch noch!«, flüsterte das Silbermännchen und sah sie besorgt an.
Der Spruch! Mira nickte. Sie hatte ihn nicht vergessen. Sie öffnete den Mund und ganz langsam hauchte sie die Worte. Eines nach dem anderen.
» Vorstellung – der Gedanken – Halt,
aus luft’gem – Nichts– nimm an Gestalt. «
Was dann passierte, nahm Mira nur noch wie aus weiter Ferne wahr. Als würde sie durch ein umgedrehtes Fernrohr blicken, das alle Dinge weit weg rückte. Das Silbermännchen zog seinen Hut vom Kopf und wedelte etwas Luft auf die Seiten des Buchs.
Eine lange, bange Minute verstrich, in der alle drei in der Kammer den Atem anhielten. Dann war plötzlich ein leises, kratzendes Geräusch zu vernehmen. Die rechte Pfote des Drachen erhob sich langsam neben dem schwarzen Dachen aus dem Buch und scharrte mit langen gläsernen Krallen auf dem vergilbten Papier. Dann erschien daneben auch die zweite Pfote. Bald stemmten sich die beiden Vorderbeine gegen das Papier und zogen den restlichen Körper aus der Seite. Der Drache entfaltete seine weißen, schimmernden Flügel und riss zugleich mit einem kurzen Ruck den Drachenschwanz als Letztes aus dem Buch.
Der weiße Drache stieß Flammen aus seinem weit geöffneten Maul. Ein warmes kurzes Feuer, das die Kammer in einem jähen Auflodern erhellte. Dann drehte er sich sehr eindrucksvoll um seine eigene Achse, damit er alle besser sehen konnte. Sein Blick fiel zuerst auf das Silbermännchen, dann auf die schwarze Hexe und schließlich auf Mira.
Diese konnte ihn kaum mehr klar erkennen. Seine Umrisse verschwammen vor ihren Augen. Alles, was sie sah, war eine weiße, in sich zerfließende Gestalt, die nun langsam näher kam.
»Schnell!«, rief das Silbermännchen. »Sie wurde verflucht und wir haben nicht mehr viel Zeit!«
Der Drache wandte sich zu der schwarzen Hexe und ließ eine kurze rot glühende Wolke aus seinen Nüstern entweichen. »Was hast du getan?«
»Was für eine Begrüßung!«, rief die schwarze Hexe.
»Du hast keine bessere verdient!«
Die schwarze Hexe sah Mira abschätzig an. »Ich muss sagen, du hast keine schlechte Wahl getroffen. Aber jetzt, nachdem du vor mir stehst, brauche ich sie nicht mehr!«
Der Drache stellte sich auf die Hinterbeine, spannte seine langen Flügel und stieß einen großen Feuerschwall aus. Aufzischende rote und grellgelbe Flammen zielten auf die schwarze Hexe, die sich vor dem Feuer duckte.
»Wie konntest du?«, fragte der Drache zornig.
Die Hexe richtete sich wieder auf. »Nette Spielereien, Cyril! Sie haben mir schon das letzte Mal gefallen!«
Der Drache schlug mit seinen breiten Flügeln und wandte sich dann Mira zu. »Verzeih mir, bitte! Ich habe dir so eine schwere Aufgabe aufgehalst. Aber ich ahnte nicht, dass es so schwer werden würde!«
Mira wollte etwas sagen. Sie wollte ihm so gerne alles erzählen. Von dem Treppenhaus und von Thaddäus und wie sie das Buch gefunden hatten, aber sie war so müde, dass sie kaum ein Gemurmel herausbrachte.
»Sieh mich an!«, flüsterte der Drache.
Mira gelang es, den Kopf zu heben. Und plötzlich konnte siedie Augen des Drachen erblicken. Sie schimmerten grün. Und waren da nicht die braunen Sprenkel?
In diesem Moment hörte sie die Musik. Es war die Musik des Schmetterlings. Sie kam direkt aus den Augen des Drachen. Sie wärmte und umfing sie und breitete sich in ihrem ganzen Körper aus. Und überall dort, wo die Musik hingelangte, in ihre Haare und Fingerspitzen, in ihre Zehen und in ihren Kopf, überall
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