Mira und der weiße Drache (German Edition)
matte Licht der Straßenlaternen schien durch das Gewebe.
Mira hüpfte zaghaft aus dem Kamin und fand sich plötzlich unter einem riesigen schwarzen Tisch, dessen Beine dick wie Säulen waren, wieder. Sie flatterte hoch und setzte sich neben eine Blumenvase auf die große weiße Tischdecke. Die gewaltigen Blumenkelche weißer Lilien neigten sich über ihr und vor ihr hing an der Wand ein großes Ölgemälde.
Es war ein Pfau! Sie war also in Hippolyts Restaurant gelandet. Wo sonst hätte er sie auch hinlotsen sollen! Der Pfau auf dem Gemälde sah Hippolyts Tiergestalt sehr ähnlich, auch wenn er wesentlich bunter, eleganter und vor allem schlanker war.
In diesem Moment gingen die Lichter in dem großen blitzenden Kronleuchter über Mira an. Sie fuhr herum. Hippolyt stand in der Tür. Er war wieder der kleine, rundliche Koch, mit dem Mira in der Küche gesprochen hatte. »Hippolyt!«, rief Mira verzweifelt und schlug mit den Flügeln. »Ich kann mich nicht zurückverwandeln!«
Hippolyt sah ziemlich mitgenommen aus. Er hatte ein hochrotes Gesicht und schwitzte immer noch von der Anstrengung, seinen schweren Pfauenkörper durch die Lüfte bugsiert zu haben. Sein Blick wanderte von der Amsel, dann zu dem großen Fleck auf der Damasttischdecke und zu den schwarzen Spuren auf dem Parkett, bis er schließlich bei dem Aschehaufen neben dem Kamin hängen blieb. Er seufzte tief. »Ich hätte dir vielleicht doch einen anderen Weg zeigen sollen«, murmelte er. Dann ging er zu einem großen, weißen Schrank, holte aus einer Schublade eine Dose heraus und trat an den Tisch heran. »Es wäre sehr nett von dir, wenn du jetzt bitte auf den Stuhl hüpfen würdest«, sagte er zu Mira und zog schnell das blütenweiße Sitzkissen weg. Mira hüpfte gehorsam vom Tisch herunter auf die Sitzfläche. Dann öffnete Hippolyt die Dose und ließ ein paar Kräuter auf die Amsel herabrieseln.
In diesem Augenblick spürte Mira ihren menschlichen Körper wieder. Sie sah an sich herab. Ihre Schuhe und ihre Kleidung waren völlig verdreckt, und als sie in ihre Haare fasste, hatte sie schmutzig graue Strähnen in der Hand. »Oh, Hippolyt!«, rief sie aufgeregt. »Sie wissen nicht, was alles passiert ist. Wir müssen Miranda finden! Sie ist zusammen mit dem Sperber abgestürzt.« Mira schlug die Hände vor ihr verrußtes Gesicht. »Vielleicht ist sie tot!«
Noch ehe Hippolyt antworten konnte, krachte und splitterte es im Kamin, und es staubte (zum großen Entsetzen von Hippolyt) eine noch größere Aschewolke heraus, als schon bei Miras Landung aufgewirbelt wurde.
Dann humpelte eine kleine Katze aus dem Kamin. Sie sah nun nicht mehr rot, sondern völlig grau aus und tappte mit schmutzigen Pfoten über den weißen Teppich.
»Miranda!«, schrie Mira erleichtert. Die Katze schüttelte ihr graues Fell und verbreitete überall Asche.
Dann sprang sie mit einem großen, wenn auch etwas wackeligen Satz auf den gedeckten Tisch neben Mira. »Wo bin ich denn hier?«, fragte sie.
»Im Blauen Pfau !«, antwortete Hippolyt an Miras statt, trat nach vorne und wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn. »Und ich wäre dir überaus dankbar, wenn du nicht noch mehr Tischtücher mit deinen Pfoten beschmutzen würdest. Ich habe sie gestern erst aus der Reinigung holen lassen.« Die Katze miaute, sprang wieder auf den Boden, schüttelte sich ein weiteres Mal und verwandelte sich in Miranda. In eine ziemlich schmutzige Miranda, die überall Kratzer im Gesicht und an den Armen hatte. »Hallo, Hippolyt! Tut mir leid!«, sagte sie mit schiefem Grinsen. Mira wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Sie blickte Miranda an und spürte, wie ihre Augen feucht wurden.
»Wie kommst du denn hierher?«, stammelte sie. »Ich dachte die ganze Zeit ...«, sie holte tief Luft, »... ich habe mir solche Sorgen gemacht! Ich dachte schon ... du wärst tot!«
Miranda verzog ihre Mundwinkel nach oben. »Na ja, viel hätte auch nicht gefehlt. Als ich mit dem Sperber abgestürzt bin, landete ich zum Glück auf einer Terrasse.« Sie schluckte. »Den Sperber habe ich nicht mehr gesehen. Aber nach einiger Zeit trudelte da ein Pfau durch die Luft.« Ihre Augen blitzten vergnügt.
»Und dann sah ich dich in einem Kamin verschwinden. Und ich dachte mir, wenn du schon hier reinspringst, kann ich das auch!« Miranda grinste unter ihren schmutzigen rotgrauen Haarsträhnen.
»Was für eine brillante Idee«, murmelte Hippolyt und starrte bekümmert auf den Dreckhaufen neben dem
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