Mira und die verwunschenen Kugeln (German Edition)
der Drachen ist genau die richtige Kulisse dafür.«
»Sie kennen die Spur der Drachen ?«, fragte Rabeus.
Das Silbermännchen sah ihn kurz an und zog seine schimmernden Augenbrauen hoch. »Kennen? Ich habe sie geplant.«
Rabeus sah es groß an. »Das ganze unterirdische Netzwerk?«
»Aber ja. Das war vor ungefähr ...«, das Silbermännchen schmauchte seine durchscheinende Pfeife, »… 500 Jahren. Monatelang saß ich über den Plänen, bis ich alle Gänge ausgetüftelt hatte. Und noch länger saß ich über den Rätseln.«
»Dann hat die schwarze Hexe die Spur der Drachen in Auftrag gegeben?«, fragte Mira verwundert.
»Aber nein«, erwiderte das Silbermännchen und stieß ein kurzes Lachen aus, wobei ihm ein paar Rauchwolken durch die Nasenlöcher schlüpften.
»Wo denkst du hin! Dieser Auftrag stammte von ... Nun, dazu kommen wir später.« Es lächelte ein wenig wehmütig und sah dann Mira an.
»Ich habe nicht immer der schwarzen Hexe gedient, falls du das glaubst. Beileibe nicht! Es gibt mich schon lange. Länger, als du es dir vorstellen kannst!«
»Länger als den Drachen?«, fragte Mira.
»Ja«, sagte das Silbermännchen leise. »Sogar schon länger als den Drachen.« Es sah für einen Augenblick in die Ferne, als wäre ihm eine lange entschwundene Erinnerung in den Sinn gekommen. Dann schüttelte es den Kopf und blickte die Kinder ernst an.
»Wie dem auch sei. Ich hoffe, ihr seid nun bereit, die Geschichte zu hören.«
Mira sah sich schnell um. Keine Stimmen waren zu hören und keine Taschenlampe zu sehen. Rabeus’ Augen waren gebannt auf den Silbermann gerichtet.
»Ja«, sagte Mira leise. »Erzähl!«
* Eine Frage, die sich Zauberer übrigens seit Jahrhunderten stellen
20. Kapitel
in dem Mira einen Freund verliert
Das Silbermännchen setzte sich mit überkreuzten Beinen auf die Karte.
Ein leichter blauer Schein fiel auf die schaukelnden Wellen, als es noch einmal einen tiefen Zug aus seiner Pfeife nahm.
»Das, was ich euch erzählen werde, geschah in dieser Stadt. Es liegt schon über 500 Jahre zurück. Unvorstellbar viel Zeit für euch, doch für mich ist es so, als wäre nur einmal die Sonne untergegangen.
Vieles, was ihr heute seht, gab es zu der Zeit schon. Die Burg stand weithin sichtbar auf einem Hügel außerhalb der Stadtmauern. Stolz ragten ihre Zinnen in den blauen Himmel. Und auch die kleinen Häuser und die Gassen, unter denen wir uns befinden, waren schon gebaut.
Es gab allerdings keine Autos, nur Kutschen und Pferdefuhrwerke, die durch die Gassen klapperten. Kinder ohne Schuhe jagten durch die Straßen, und auf den Plätzen wurde mit Wein, Gemüse und Stoffen gehandelt.
Es gab auch keine Züge, nur breite, kopfsteingepflasterte Straßen, die von den Stadttoren aus in das Land führten.
Und es gab den Fluss.
Sein Wasser war schon immer dunkel. Breit kam er in die Stadt, doch dann teilte er sich auf in unzählige kleine Kanäle. An diesen Kanälen lebten die Handwerker, die Färber, die Gerber und die Weber und alle anderen, die das Wasser des Flusses für ihre kleinen Mühlen brauchten. Und hier wohnte auch ein junges Mädchen von anmutigem Wuchs, mit wunderbaren honiggelben Augen und schwarzen glänzenden Zöpfen, in die bunte Bänder geflochten waren. Sie war das einzige Kind eines reichen Tuchhändlers, der seine prächtige Villa an das Ufer gebaut hatte.
Sie galt als sehr klug und sehr hübsch, und die Familie freute sich schon auf den Tag ihrer Hochzeit, denn es war ihr von einer weisen Frau vorhergesagt worden, dass eines Tages ein reicher Fremder sein Herz an sie verlieren würde.
Doch dieses Mädchen war nicht nur außergewöhnlich hübsch. Sie hatte auch besondere Gaben. Gaben, die sie heimlich beunruhigten.
Schon als sie ganz klein war, merkte sie, dass sie die Sprache der Figuren sprach. Und diese Figuren – die Löwen und Drachen, Pferde und Fische, Meerjungfrauen und Wetterhähne der Stadt –, sie erzählten dem Mädchen alles, was sie wussten.
Geschichten und Geschwätz, Tratsch, Unwahrheiten und Gerüchte.«
Hier verstummte das Silbermännchen kurz und rümpfte für einen Augenblick seine spitze Nase. »Das Übliche eben, wie sie es schon seit ewigen Zeiten gewohnt waren. Und atemlos lauschte sie allem.
Manchmal ging sie auch den Fluss entlang, und wenn sie die Stadt hinter sich gelassen hatte, dann zog sie ihre Schuhe aus und ließ sich vom Wind durch die Stoppelfelder treiben. Ihre schwarzen Haare lösten sich, und die Bänder in den Zöpfen
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