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Mirad 02 - Der König im König

Titel: Mirad 02 - Der König im König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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mich für den Vogel…«
    Twikus ließ die Sehne los. Der Pfeil zischte auf den Knappen zu.
    Popi schrie wie am Spieß und er hörte auch dann noch nicht auf, als ihm längst hätte klar sein müssen, dass ihm nicht das Geringste fehlte. Der Pfeil war scheinbar in ihm verschwunden, ohne den mindesten Schaden anzurichten. Plötzlich scholl aus großer Höhe ein anderer Schrei herab. Der König blickte nach oben. Seine Bewegungen wirkten beinahe träge. Die anderen Gefährten folgten seinem Beispiel und sahen das Unfassbare.
    Der Tarpun fiel wie ein Stein vom Himmel. Als er dem Boden schon sehr nahe war, konnte man deutlich den Pfeil erkennen, der aus seiner Brust ragte. Dann schlug der Kadaver des riesigen Greifvogels wie ein tiefgrüner Meteor in den Schnee ein. Eine glitzernde Wolke stob auf und senkte sich gleich wieder, in der Morgensonne glitzernd, langsam herab.
    Die Absturzstelle lag genau auf dem Weg der Reiter, nur ein kurzes Stück voraus. Keiner fand Worte, bis man sich um die zerschmetterten Überreste des Tarpuns versammelt hatte.
    Falgon schüttelte ungläubig den Kopf. »Das verstehe ich nicht. Er war viel zu hoch.«
    »Stimmt«, sagte der König traurig.
    »Wie hast du das gemacht, Twikus?«
    »Ich bin Ergil.«
    »Seit wann kannst du schießen?«
    »Das war Twikus.«
    »Beim Herrn der himmlischen Lichter! Ihr zwei bringt mich noch um den…«
    »Gib ihm noch einen Moment, mein Lieber, damit er zur Besinnung kommen kann«, unterbrach Múria ihn.
    Alle schwiegen.
    Nach einer Weile erhob sich der Eisvogel von Schneewolkes Geweih, schwirrte über den toten Tarpun hinweg und landete auf Ergils Schulter. Obwohl er diese Berührung unter dem dicken Fellmantel kaum wahrnehmen konnte, brachte sie ihn doch in die Gegenwart zurück.
    Er atmete tief die kalte Morgenluft und sagte traurig: »Es sind so herrliche Geschöpfe!«
    Entgeisterte Blicke wechselten hin und her.
    »Wir wüssten wohl alle gern, was du da eben getan hast«, wagte Múria einen neuen, sanften Vorstoß in Ergils Bewusstsein.
    »Er hat auf mich geschossen!«, japste Popi.
    Sie bedachte ihn mit einem strafenden Blick.
    »Entschuldige, mein Freund«, sagte Ergil leise. »Es mag für dich so ausgesehen haben, aber tatsächlich hatten wir auf eine Falte gezielt.«
    Der Knappe tastete hektisch seinen Mantel ab. »Was für eine Falte?«
    »Eine Falte im Gewebe der Welt. Dahinter verbarg sich der Spion. Anstatt den langen Weg zu nehmen«, Ergil deutete zum Himmel hinauf, »haben wir sie mit dem Pfeil geradewegs durchstoßen und ihn so überrascht.«
    »Ich habe von dieser Facette der Alten Gabe gehört, aber nie einen Sirilo gesehen, der sie beherrschte«, staunte Múria.
    Ergil zuckte nur die Achseln. »Das ist seltsam. Twikus und ich haben uns schon ihrer bedient, als wir noch Kinder waren. Einfach so.« Er berichtete von dem kleinen Mooshörnchen, das er in sein hohes Nest zurückgelegt hatte, indem er eine Abkürzung durch die Falten der Welt nahm.
    »Du überraschst mich immer wieder«, gestand Múria im Anschluss daran. »Vielleicht wird es allmählich Zeit, die Rollen zu tauschen.«
    Ergil sah sie verwirrt an. »Soll ich dich zur Königin machen, Inimai, damit ich zukünftig in deinen Diensten als Geschichtsschreiber die Chroniken von Mirad aufzeichne?«
    Sie lachte. »Schlag dir das ein für alle Mal aus dem Kopf. Nein, ich dachte nur, es wäre vielleicht an der Zeit, noch einmal in die Rolle einer Schülerin zu schlüpfen und bei zwei Sirilimmeistern um Aufnahme zu ersuchen.« Múria deutete eine Verbeugung an. »Würdet Ihr mir die Ehre erweisen, Ergil und Twikus von Sooderburg?«
     
     
    Ergil grübelte noch lange über Múrias seltsame Bitte nach. Sie hatte so ernst geklungen. Das beunruhigte ihn. Er fühlte sich nicht als Meister irgendeiner Kunst, nicht einmal als Geselle.
    Seine Nachdenklichkeit schien die anderen Gefährten anzustecken. Nachdem Magos’ Spion ins Haus der Toten geschickt worden war, wichen ihre Gespräche immer häufiger einer gespannten Wachsamkeit. Sie mussten dem Zoforoth dicht auf den Fersen sein. Wenn Kaguan einen Hinterhalt plante, dann konnte er überall lauern, umso mehr jetzt, nachdem das Verschwinden seines Spitzels ihn gewarnt haben dürfte.
    Zwei Tage nach dem Schuss, der Popi so tief verstört hatte, fiel das hügelige Gelände nach Osten hin stetig ab. In der klaren kalten Luft konnte man meilenweit sehen. Twikus bemerkte als Erster, wie sich die Landschaft vor ihnen veränderte. In dem Schnee waren

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