Mirad 02 - Der König im König
ließen sich um diese Zeit das Nachtmahl schmecken. Er würde sich beeilen müssen, um mit dem letzten Tageslicht nach Hause zu kommen.
Als er auf der Straße drei oder vier Schritte gegangen war, vernahm er hinter sich ein Geräusch, so wie wenn Stein auf Stein schabte. Es kam aus nächster Nähe. Räuber?, war sein erster Gedanke. Nachts war man in Silmao nirgendwo vor ihnen sicher. Seine Hand fuhr zum Griff des Krummdolches, den er im Gürtel trug. Gerade wollte er sich umdrehen, als er aus dem Augenwinkel einen großen Schatten bemerkte. Irgendetwas schwebte über die Dächer auf der anderen Straßenseite, direkt auf ihn zu. Es war riesig, für einen Vogel viel zu groß.
Gumo erschauerte, als er im schwindenden Licht der Dämmerung einen menschenähnlichen Oberkörper gewahrte, der mit dem Leib einer riesigen Harpyie verwachsen zu sein schien. Er entsann sich der Botschaft aus Soodland, die vor einem Zoforoth gewarnt…
Wieder vernahm er hinter sich ein leises Kratzen. Die Starre fiel von ihm ab. Er fuhr herum und versuchte gleichzeitig den Dolch zu ziehen, doch dazu kam er nicht mehr, weil scharfe Klauen ihm die Waffe entrissen – Gumo spürte den Schmerz, als seine Hand aufgeritzt wurde, und erschrak.
Vor ihm stand eine große dunkle Gestalt, die in ein weites Gewand gehüllt war. Ihr Antlitz lag, völlig unsichtbar, in den Schatten einer Kapuze.
»Wozu das Messer, Schmied?«, sagte eine Stimme, die ihm einen Schauer über den Rücken jagte.
»Wer seid Ihr?«, hauchte Gumo. Er konnte es kaum fassen, dass die Klaue, die ihm so mühelos den Dolch entwunden hatte, zu keinem der beiden Arme gehörte, die der Fremde in diesem Moment nach im ausstreckte. Vielmehr kam sie irgendwo aus dessen Umhang hervor. Dann spürte Gumo, wie sich schuppige Finger um seinen Hals legten und ihm die Kehle zudrückten. Das Rauschen gewaltiger Schwingen drang an sein Ohr und die Luft um ihn her wirbelte auf. Das Harpyienwesen musste hinter ihm gelandet sein. Voller Angst suchte er im Dunkel unter der Kapuze des Fremden nach einem Gesicht, nach etwas Menschlichem, von dem er Gnade erwarten durfte. Doch dort gab es kein Licht. Nur eine eisig kalte Stimme.
»Ich bin der König der Kanalratten.« Ein leises Lachen schloss sich an. Dann: »Mein Gebieter hat mir viel von euch Bartarin erzählt, Gumo. Ich freue mich, endlich einen der sagenhaften Schmiedemeister persönlich kennen zu lernen.«
15
DIE SCHMIEDE DER BARTARIN
Múrias besorgter Blick lag auf dem Gesicht des jungen Königs. Sie mochte sich wünschen, seine Gedanken lesen zu können, aber dazu reichten ihre Fähigkeiten nicht aus. Deshalb wiederholte sie ihre Frage.
»Bist du sicher, Twikus? Wir haben nie einen solchen Sprung gewagt.«
»Ergil meint, dass wir es schaffen können.«
»Und du?«
»Morgen werden es zehn Tage sein, seit Kaguan sich mit dem Gig davongestohlen hat. Er ist längst in Silmao. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.«
»Das ist keine Antwort auf meine Frage, mein Lieber. Wir beide wissen, wie viel Kraft uns ein solcher Sprung kosten wird. Selbst wenn wir es schaffen, könnten wir zu schwach sein, um gegen den Zoforoth zu kämpfen.«
»Falgon, Dormund und Popi sind ja auch noch da.«
»Popi?« Múria lächelte.
»Er hat Ergil und mich schon einmal gerettet. Lass es uns einfach versuchen, Meisterin.«
Sie nickte. »Also gut. In jedem anderen Fall hätte meine Sorge um euer beider Wohlergehen alle Vernunftgründe beiseite geschoben, aber hier… Wenn Mirad untergeht, ist alles verloren.«
Bereits am vergangenen Abend waren die Einzelheiten des Plans geklärt worden. Dormund hatte einen quadratischen Platz in der Nähe der Schmiede beschrieben, der sich für eine gefahrlose Landung eignen müsste. Um schnell und beweglich zu sein, würden sie den Sprung durch die Falten der Welt wie schon im Hain der Pyramiden auf ihren Krodibos durchführen. Falgon wollte so viele Unwägbarkeiten wie möglich ausschließen und ging deshalb alles noch einmal Schritt für Schritt durch. Jeder hatte seine Rolle. Keiner durfte versagen.
Nach der Besprechung machten sie ihre Waffen bereit. Zuletzt verabschiedeten sie sich von Kapitän Smidgard und seinen Männern. Man sprach von einem glücklichen Wiedersehen in Silmao, aber das Lächeln auf den Gesichtern sah eher traurig aus. Dann begaben sich die Gefährten unter Deck zu den Tieren.
»Seid rücksichtsvoll mit dem König Gode und reißt ihm kein Loch in den Bauch«, mahnte Múria, kurz vor
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