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Mirad 03 - Das Wasser von Silmao

Titel: Mirad 03 - Das Wasser von Silmao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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heuschreckenartigen Beinen durchquerte er einen Kiefernwald. Nach etwa drei Meilen tauchte über den Baumwipfeln die Stadtmauer von Bjondal auf. Vor einem halben Jahr hatte er seine Haut weiß färben müssen, um sich im Schnee unsichtbar zu machen. Den gleichen Effekt erzielte er jetzt mit ein paar schmutzigen grünbraunen Flecken auf seinen pechschwarzen Schuppen.
    Auf halbem Weg zwischen Waldsaum und Steinwall vernahm er ein leises Klappern und blieb sofort stehen. Seine Sinne waren, ähnlich wie bei den Facettenaugen eines Insekts, auf zahlreiche Hautschuppen verteilt, weshalb er mit dem ganzen Körper sehen, hören, riechen und kleinste Wärmeunterschiede wahrnehmen konnte. So brauchte er sich nicht zu rühren, um sich einen umfassenden Überblick zu verschaffen.
    Das Geräusch war von dem Wehrgang gekommen. Zwei Männer der Stadtwache patrouillierten auf der Mauer. Einer blieb stehen, hielt seine Fackel über den Rand und blickte direkt zu Kaguan hinab.
    Der Zoforoth war sich seiner größten Schwäche bewusst. Er vermochte seine Haut augenblicklich umzufärben und mit einem beliebigen Muster zu überziehen, aber er konnte nicht verhindern, dass er einen Schatten warf. Das Feuer in der Hand des Wächters flackerte verräterisch über ihm.
    »Wenn du nach hübschen Mädchen Ausschau halten willst, musst du auf der anderen Seite runtergucken«, frotzelte der Kamerad des aufmerksamen Posten.
    »Ich könnte schwören, da unten eine Bewegung gesehen zu haben.«
    Jetzt lugte auch der zweite Soldat über die Zinne. Nach kurzer Prüfung der Lage grunzte er: »Also, ich sehe nur einen knorrigen Baumstamm mit vier verdorrten Ästen.«
    »Merkwürdig.«
    »Was?«
    »Ich könnte schwören, diesen Baum heute zum ersten Mal zu sehen.«
    »Jetzt mach aber mal halblang, Winnebert. Wie soll der denn mit einem Mal dahin gekommen sein?«
    »Was weiß ich! Normalerweise wachsen Bäume aus dem Boden.«
    »Na, vielleicht ist der ja aus dem Wald herausspaziert, um dich zum Narren zu halten.«
    »Willst du dich über mich lustig machen?«
    »Käme mir nie in den Sinn. Können wir jetzt endlich unsere Runde beenden? Es ist gleich Mitternacht und der Wind pfeift durch meine Rüstung wie durch ein altes Gemäuer.«
    »Ist ja schon gut«, brummte der Posten namens Winnebert. »Aber ich werde von meiner Beobachtung Meldung machen.«
    Der andere schlug ihm die Hand auf den Harnisch, dass es nur so schepperte. »Tu dir keinen Zwang an. Bin schon auf das Gesicht des Hauptmanns gespannt, wenn du ihm von wandelnden Bäumen erzählst.«
    Die zwei entfernten sich.
    Sobald sie außer Sichtweite waren, begann sich der vertrocknete Stamm zu bewegen, unten teilte er sich in zwei Beine und seine vier Äste wurden wieder zu Armen. Lautlos legte Kaguan das letzte Stück bis zur Mauer zurück, kletterte wie eine Spinne daran empor und auf der anderen Seite wieder hinunter. Hiernach hüllte er sich in seinen langen schwarzen Umhang, streifte sich die Kapuze über den Kopf und huschte in eine schmale Gasse.
    Aus der Ferne hallte die Stimme eines Nachtwächters herüber, der die Uhrzeit verkündete. Ansonsten waren Bjondals Straßen wie leer gefegt. Der Zoforoth verschwendete keine Zeit. In Soodland versank die Sonne während des Sommers stets nur für wenige Stunden hinter dem Horizont. Der Schutz der Dunkelheit war daher ein knappes Gut. Ein ahnungsloser Bauer in einem nahe gelegenen Dorf hatte Kaguan ausführlich den Weg zum gesuchten Haus beschrieben. Weil dem Chamäleonen die meisten Orientierungspunkte in der Hafenstadt noch von seinem letzten Aufenthalt in Erinnerung waren, musste er nicht erst lange im Gassengewirr herumirren, um es zu finden.
    Dormunds Schmiede lag unweit des Hafens in einer gepflasterten Straße, die so breit war, dass zwei Ochsenkarren bequem aneinander vorbeifahren konnten. Das zweiflüglige Tor sah genauso aus, wie es der Landmann beschrieben hatte: Ihr könnt es gar nicht verfehlen, weil es das einzige ist, an dem eine dicke viereckige Eisenplatte hängt. Wie ein sich häutendes Reptil schlüpfte Kaguan aus seinem Mantel und ließ ihn, wo er gerade stand, zu Boden fallen. Nur den Beutel mit seinen kleinen Helfern behielt er bei sich.
    Noch einmal erkundeten seine Sinne die nähere Umgebung. Alles war still. In größerer Entfernung bellten abwechselnd zwei Hunde, als wollten sie sich über das ganze Viertel hinweg von dem unheimlichen Schemen berichten, der durch die Gassen schlich. Offenbar nahm niemand von den Kläffern

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