Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
Himmelsphänomen ein. Gleichzeitig gingen ihre Blicke nach oben. Jetzt erst bemerkte Múria ein vielfarbiges Leuchten in dem Gebilde, das sich direkt auf sie und Jazzar-fajim herabsenkte.
In gewisser Hinsicht war die Klippe, auf der die Sooderburg stand, wie ein Kamin: Die Luft wurde unten beim geheimen Zugang angesaugt und trat im Knochenturm wieder aus. Wegen der labyrinthischen Verzweigungen und zahllosen Hohlräume des Vulkangesteins war dieser ständige Luftstrom aber so schwach, dass selbst der feine Rauchfaden einer eben erloschenen Kerze ihn nicht sichtbar gemacht hätte. Menschen waren schon gar nicht in der Lage, ihn wahrzunehmen. Aber Zwerglinge.
Allerdings hatte Gondo für geraume Zeit – er wusste nicht, wie lange – ganz andere Dinge im Kopf gehabt als Unternehmungslust und Entdeckergeist. Nur im Schneckentempo kehrte sein Bewusstsein zurück, versuchte zu begreifen, was mit ihm geschehen war. Man hatte ihn wohl am Strand gefunden und für tot gehalten. Anders war es nicht zu erklären, dass die Verteidiger der Burg ihn ins Innere der Klippe geschleppt und achtlos liegen gelassen hatten. Rasselnd atmete er die kühle Luft ein. Er schmeckte das Meer. Offenbar war er dem Eingang sehr nahe. Sein Gesicht lag auf nacktem Fels. Der erste Versuch, den Kopf zu heben, endete für Gondo mit dem Gefühl, von einem Blitz getroffen worden zu sein.
Da waren nichts als Schmerzen, elende, pochende Schmerzen. Der Stein, den Torbas auf ihn geschleudert hatte, schien ihm direkt ins Hirn geflogen zu sein, um dort einigen für das Wohlbefinden unverzichtbaren Teilen das Blut abzudrücken. Als sich Gondo stöhnend auf den Rücken wälzte, gelangte er zu dem Schluss, dass sein Kopf immer noch genauso viele Löcher hatte wie früher. Die Schädel von Zwerglingen waren nämlich ungleich strapazierfähiger als die anderer Lebewesen. Als Höhlenbewohner besaßen sie eine Art natürlichen Schutzhelm, der sich nur mit einer scharfen Klinge abnehmen ließ.
Gondo hatte nie wirklich gründlich über diese Vorteile nachgedacht, die ihm nun das Leben gerettet hatten. Nun erst, während sich die Nebel in seinem Bewusstsein allmählich auflösten, nutzte er die Gelegenheit. Mit einem Mal hörte er Schritte aus der Ferne. Vielleicht war ja doch jemand zu dem Schluss gekommen, dass selbst ein ziemlich tot aussehender Zwergling noch eine Gefahr darstellen mochte. Gondo entschloss sich dazu, dem süßen Nichtstun zu entsagen, und verschwand lautlos im Gängegewirr der Klippe.
Dort verbrachte er viele Stunden, vermutlich sogar Tage, mit der Erforschung des Labyrinths. Es war kein sinnloses Hin- und Herirren, sondern eine sehr gezielte Suche, bei der er in dem steinernen Irrgarten immer höher stieg. Gondos Gedanken drehten sich dabei fast pausenlos um das Schwert Schmerz. Er wollte es haben. Das war der »Schatz« – so hatte Torbas es ja selbst genannt –, der ihn für all das entschädigen würde, was er seit der Niederlage im Zungenwald an Demütigungen, Schmerzen und Enttäuschungen hatte erleiden müssen.
Manchmal, wenn er auf seinem Weg nach oben das Ohr ans poröse Gestein legte, glaubte er Kampflärm zu hören. Was immer Torbas also mit der schwarzen Klinge hatte bewirken wollen, es war noch nicht getan. Die Schlacht wurde offenbar mit unverminderter, ja, mit noch heftigerer Stärke fortgesetzt.
Je höher Gondo kam, desto häufiger musste er Menschen ausweichen. Sie schleppten Kisten, Fässer, große Korbflaschen, Krüge, Feldbetten, Decken, Waffen und allen möglichen anderen Kram nach unten. Es ließ sich nicht übersehen, dass man sich in den Höhlen häuslich einrichtete, was dem Zwergling bizarr vorkam: Menschen und Sirilim waren Geschöpfe des Lichts und der Luft, die Unterwelt gehörte Zwergen, Waggs und deren Nachkommen. So hatte es Melech-Arez eingeteilt, so war es richtig.
Wann immer sich Menschen näherten, verzog sich Gondo in dunkle Winkel, von denen es in der Klippe glücklicherweise eine reichhaltige Auswahl gab. Trotzdem ließ er es sich nicht nehmen, sie zu beobachten. Des Öfteren sah er einen betagten Mann, der den anderen Befehle erteilte, obwohl er keine Rüstung trug. Noch so eine Merkwürdigkeit. Sogar Hjalgord hatte sich nach seiner Ankunft auf der Insel ordentlich gepanzert. Wahrscheinlich handelte es sich hier um irgendeinen Würdenträger, der die Höhlen für den Tag des Rückzugs der Verteidiger vorbereiten sollte. Der schmächtige Alte mit dem grauen Schnurrbart trug immer kostbares Tuch.
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