Miss Emergency
Außerdem müssen wir jetzt hopp, hopp zur Visite!«
Ich werfe einen Blick in Richtung OP-Säle. Ist Isa immer noch dort drin? Jana nickt mit bedenklicher Miene. In meinem Kopf blättern die Lehrbuchseiten auf. Eine laparoskopische Gallenoperation dauert doch nicht länger als eineinhalb Stunden. Gut, die sind noch nicht ganz um, trotzdem mache ich mir Sorgen. Hoffentlich gab es keine Komplikationen, hoffentlich erlebt Isa nicht ausgerechnet in ihrer ersten OP einen Unglücksfall! Es tut mir leid, dass ich ihr nicht beistehen kann. Moment, Lena, jetzt mal doch nicht gleich den Teufel an die Wand! Vielleicht ist sie schon beim Händewaschen und kommt in einer Minute strahlend aus dem OP. Leider darf ich das nicht abwarten, denn erst einmal kommt Dr. Gode beschwingt aus der Mittagspause und winkt uns fröhlich zur Visite heran.
Die ersten Minuten der Visite laufen ausgezeichnet. Ich darf Herrn Kohlers Blutwerte und sein MRT auswerten und werde von Dr. Gode fast überschwänglich gelobt. Paula Schwab hat sagenhaft schlechte Laune und bezeichnet Dr. Gode, der nach ihrem Befinden fragt, ungeniert als Schwachkopf. Explizit sagt sie: »Was denken Sie, wie es mir geht, Sie Schwachkopf?! Gehen Sie einfach ein paar Seeteufel pürieren!« Doch Dr. Gode nimmt esmit Humor und lässt Jenny die Visite allein durchführen, bei der sich Paula für ihre Verhältnisse mustergültig benimmt.
Unsere Gruppe ist eben auf dem Weg zu Frau Jahn, als eine eilige kleine Schwester über den Flur ruft: »Neuer PJler in OP 1!« Was meint sie? Was bedeutet das? OP 1 ist Frau Schneider – da IST schon eine PJlerin! Was ist passiert?! »Neuer PJler« klingt nach Wegwerfartikel. Plastikpipette, Alkoholtupfer, Mundspatel – das dürft ihr alles nach einmaliger Benutzung locker über die Schulter in den medizinischen Abfall schnipsen. Aber nicht meine Isa!
Dr. Gode macht eine schnelle Handbewegung. »Wer möchte einspringen?!«
Ich starre Jenny an, wir zögern beide. Was kann passiert sein, dass Isa ausfällt? Hat sie versagt? Sich danebenbenommen? Und wo IST sie?
Ernie zeigt auf, Dr. Gode winkt, Ernie eilt davon. Klar, das ist seine Chance, in den OP zu dürfen. Trotzdem kommt mir seine beflissene Eifrigkeit wie Verrat vor. Zum Glück ist Dr. Gode kein Unmensch, er bemerkt unsere Besorgnis. »Keine Angst«, lächelt er, »sie ist sicher nur umgekippt.« Na danke!
Es dauert eine halbe Stunde, bis wir zu Isa dürfen – wir können ja schlecht die Visite verlassen! Frau Jahns Werte sind jetzt etwas besser, trotzdem entscheidet Dr. Gode, dass sie morgen früh noch nicht operiert werden soll. Frau Jahn widerspricht resolut. Es kommt überhaupt nicht infrage, dass sie auch nur einen Tag länger als besprochen hierbleibt. In anderen Fällen wird eine Meniskus-OP ambulant durchgeführt! Sie ist seit Montag hier und wird am Freitag wieder gehen, komme, was wolle! Fünf Tage sind mehr als genug. Dr. Gode bleibt gelassen und erklärt, in Frau Jahns Alter und mit ihrer Diagnose sei ein längerer Aufenthalt vollkommen normal – und bei der Bestimmung des OP-Termins habe sie keinerlei Mitspracherecht. »Sehen Sie es mal so«, lächelt er ruhig, »je mehr Sie sich jetzt aufregen, desto höher steigt ihr Blutdruck und umso länger dauert es.« Frau Jahn schluckt das, ihr bleibt ja nichts anderes übrig.
Unser letzter Patient ist ein kräftiger Mittvierziger. Herr Reichelt hat nach einem Sturz im letzten Jahr immer noch Schmerzen im Lendenwirbelbereich, in letzter Zeit sogar Lähmungserscheinungen in den Beinen. Nun ist festgestellt worden, dass der Wirbelkanal stark eingeengt ist, mehrere Nervenbahnen sind eingeklemmt. Schon morgen soll er operiert werden. Dr. Gode lächelt in die Runde: Das wird für einen von uns ein Jackpot – er preist die OP einer Lendenwirbelsäule an wie einen Jahrmarktsbesuch. (»Was Sie da zu sehen kriegen!«) Doch nach Isas seltsamem Ausfall sind wir alle etwas vorsichtig. Niemand möchte unbedingt eine 4-Stunden-OP als Einstiegsaufgabe; nur Sabrina, die sich natürlich erfahren geben muss, äußert begeistert Interesse.
Auf dem Gang vertraut Dr. Gode mir zwischen Tür und Angel die Nachsorge von Herrn Kohler und Frau Schneider an. Hups habe ich zwei Patienten bekommen, ohne es richtig mitzukriegen! Ich freu mich dann nachher, im Moment gilt meine erstrangige Sorge Isa und der Frage, was bei Frau Schneiders OP schiefgegangen sein kann.
Die Tür zum Arztraum steht offen, drinnen sitzt Isa blass auf der Liege und sieht uns
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