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Miss Seeton kanns nicht lassen

Miss Seeton kanns nicht lassen

Titel: Miss Seeton kanns nicht lassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heron Carvic
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Sie ist uneben, gewunden und holt unnötig weit aus, bis sie schließlich eine scharfe Rechtswendung macht und über eine Brücke führt, wo die Kanalstraße beginnt. Der Kanal verläuft zwar gerade, die Straße jedoch nicht. Sie hat gerade Strecken; auf der einen Seite fällt sie steil etwa zehn Fuß zum Kanal ab, auf der anderen Seite schlägt sie bei jeder Bodenerhebung den Weg des geringsten Widerstandes ein und neigt sich in Haarnadelkurven nach unten, dem Kanal zu. Gegenverkehr ist ausgeschlossen, sie ist zu schmal, und selbst ein: Fußgänger muß, je nachdem, wo ihm ein Wagen begegnet, auf das Gras, zum Wasser oder auf die Böschung ausweichen. Als Miss Seeton die Brücke erreichte, gab ihre kleine Taschenlampe nur noch ein schwaches Glimmern her. Sie steckte sie in die Handtasche. Egal – sie hatte bis hier zwar länger gebraucht als erwartet, aber von nun ab mußte es jetzt immer geradeaus gehen. Sicher gewöhnten sich auch die Augen schnell ans Dunkel; die Umrisse würde sie schon erkennen können. Sie mußte nur darauf achten, sich immer hart rechts zu halten; der Kanal war zwar nur ein paar Fuß breit, aber die Böschung war steil, und sie wollte ja schließlich nicht ausrutschen. Und hier in der baumlosen Weite war es wirklich sehr windig.
    Auf dem Rückweg von New Romney setzte Sergeant Ranger plötzlich den Fuß auf die Bremse. Anne Knight spähte durch das Seitenfenster. Nein, was da neben der Hecke lag, war ein Baumstamm. Er fuhr wieder an. Wenn bloß Miss Seeton wohlauf war – wo immer sie sich im Augenblick aufhielt. Es war kalt und windig, und jetzt – er schaltete den Scheibenwischer an – fing es auch noch an zu regnen.
    Bloß gut, daß sie den heftigen Wind im Rücken hatte. Er schob sie richtig ein bißchen voran. Ogottogott, jetzt fing es auch noch an zu regnen. Miss Seeton spannte ihren Schirm auf. Plötzlich stand sie an der ersten Wegbiegung, zögerte, und der Wind griffbereitwillig ein, fuhr ihr unter den Schirm und schob sie munter um die Kurve. Weiter ging der Marsch. Der Wind wurde stärker, der Regen schwerer, Miss Seeton immer nasser. Vor ihr erschien jetzt ein Licht, das eine neue Straßenkurve erleuchtete. Ein Auto kam auf sie zu. Ogottogott, kein Platz. Und der Fahrer erkannte sie bestimmt erst, wenn es zu spät war. Was sollte sie… Mühsam krabbelte sie die Böschung hinauf. Langsam wurde das Licht heller. Langsam bog ein Wagen um die Kurve, und langsam fuhr der kleine M. G. mit Nigel Colveden und Mel Forby, die sich abmühten, durch die regennassen Scheiben zu spähen, unten vorbei. Langsam erloschen die Schlußlichter.
    Nichts Neues. Delphick wurde immer unruhiger. Wo konnte sie bloß sein? Er saß im George and Dragon, wo der Wirt ihm sein Büro überlassen und die Telefonglocke leiser gestellt hatte, bevor er schlafen ging. Wohin in aller Welt war sie gegangen? Er war immer noch überzeugt, daß er die Situation in ihrem Häuschen richtig beurteilt hatte: sie war schon fort gewesen, als dort eingebrochen wurde. Warum bloß hatte sie keinem Menschen gesagt, wohin sie ging, dann wäre es doch wenigstens… Das Telefon surrte. Ashford meldete sich. Nach kurzem Gespräch legte Delphick den Hörer wieder auf. Ein Einbruch im Dorf; das hatte wirklich gerade noch gefehlt. Ashford hatte einen Streifenwagen hingeschickt, um sich die Sache anzusehen; das reichte offenbar. Warum, zum Teufel, mußten sich die Diebe ausgerechnet diese Nacht aussuchen, wo schon so viele Leute in der Gegend herumfuhren und die Streifen alle Hände voll zu tun hatten? Gerade deshalb wahrscheinlich. Und wo Miss Seeton verschwunden war, würde sicher das halbe Dorf die Sache wieder in den falschen Hals kriegen und sie als diebische Elster hinstellen, die sich heimlich durch Hinterfenster in die Häuser zwängte und Wertgegenstände stahl. Gott sei Dank, das war nicht sein Bier. Aber… halt. Es paßte alles. Er sprang auf. Kindermord, Überfall auf die Poststelle, Diebstähle aus Häusern und Wohnungen. Das mußte er nachprüfen. Lohnte nicht, den Wagen zu nehmen. Im strömenden Regen kämpfte er sich die Straße entlang. Scheinwerfer blendeten ihn, ein Wagen schoß vorbei, mitten durch eine Wasserlache, die ihm über die Füße spritzte. Er kroch tiefer in seinen Regenmantel. So was müßte bestraft werden: Fahrer, die nicht abblendeten. Und bei diesem Guß war so ein Tempo der reine Wahnsinn.
    Blendendhelle Scheinwerfer kamen auf sie zugejagt. Wirklich ein unerhörter Leichtsinn bei diesem Wetter!

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