Miss Seetons erster Fall
Sie. Das ist die letzte Unterschrift. Die letzte. Ich glaube, wir können sagen, damit ist alles abgeschlossen. Ja, das ist der Schluß. Wenigstens im Augenblick.« Hubert Trefold Morton, Rechtsanwalt, Stadtrat und zukünftiger Bürgermeister von Brettenden, lehnte sich strahlend zurück. »Die gerichtliche Bestätigung des Testaments dürfte nicht lange auf sich warten lassen. Nicht lange. Eine vollkommen klare Hinterlassenschaft. Keine Legate, außer den kleinen an Mr. und Mrs. Bloomer. Sagen wir, drei Monate – höchstens. Ihre Tante war eine wunderbare Frau. Ich hatte die Ehre, alle ihre Angelegenheiten regeln zu dürfen, und ich schmeichle mir, sie nicht schlecht geregelt zu haben. Gar nicht schlecht, in der Tat. Natürlich – in meiner Position, mit meiner Kenntnis von den lokalen Verhältnissen habe ich sozusagen die Hand am Puls, und wenn ein bißchen zusätzliches Kapital herumliegt, dann ist es mir ein Leichtes, es nutzbringend unterzubringen.« Er lachte schallend. »Eigentum. Darauf kommt es an. Grundbesitz ist etwas, das einem wirklich gehört, das ist mein Standpunkt. Und da wir gerade von Grundbesitz sprechen: Sweetbriars ist ein sehr hübsches kleines Besitztum, sehr hübsch, wirklich. Ich weiß nicht, ob Sie vorhaben, dort zu wohnen, oder ob Sie erwägen, es zu verkaufen.«
»Ich habe mich noch nicht entschieden«, murmelte Miss Seeton.
»Sehr begreiflich. Verstehe ich vollkommen. Viel zu früh. Aber wenn Sie es erwägen, dann denken Sie bitte daran, daß wir da wahrscheinlich ein sehr zufriedenstellendes Geschäft machen können. Wirklich sehr zufriedenstellend.« Wieder strahlte er sie an. »Und nun, ist da noch irgend etwas, das Sie wissen wollten? Irgendein Punkt, bei dem ich behilflich sein könnte?«
Miss Seeton rieb sich mit der Fingerspitze die Stirn. »Nein, nicht daß ich wüßte. Vielen Dank.« Also wirklich, dieser Mr. Morton, so erdrückend, obwohl er bestimmt nur entgegenkommend und freundlich sein wollte. Und er redete so schrecklich laut. Sie verstand nicht, wie Tante Flora. Andererseits hatte das meiste natürlich durch Briefwechsel erledigt werden können, vor allem in letzter Zeit, und Briefe machten wenigstens keinen Lärm. Seufzend stand sie auf.
Mr. Trefold Morton kam schwerfällig auf die Füße und stützte sich auf den Schreibtisch. »Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, Miss Seeton, wenn ich es sage, und ich möchte nicht unritterlich erscheinen, aber Sie sehen ein bißchen erschöpft aus. Offenbar sind Sie nicht ganz auf der Höhe. Nicht ganz, oder vielmehr: gar nicht. Kein Wunder, natürlich, nach allem, was man in den Zeitungen liest. Sie müssen eine unerfreuliche Zeit hinter sich haben. Eine sehr unerfreuliche Zeit. Und es geht das Gerücht – natürlich ist es nur ein Gerücht, aber Sie wissen ja, wie sich diese Dinge in kleinen Orten herumsprechen, und Plummergen ist schließlich so weit nicht weg, so weit nicht –, daß es gestern abend noch einen häßlichen Vorfall gegeben hat. Ich glaube selbstverständlich nicht die Hälfte von dem, was ich höre. In der Tat, fast gar nichts. Aber man sagt, es wären Schüsse gefallen.« Erwartungsvoll schwieg er.
Miss Seeton nahm ihre Handtasche auf. Sie konnte unmöglich. nein, sie konnte wirklich nicht auf das alles eingehen.
Mr. Trefold Morton ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken. »Alles weit übertrieben, davon bin ich überzeugt. Vollkommen überzeugt. Aber trotzdem lästig. Sie müssen sich jetzt schonen. Von einem gewissen Alter an müssen wir uns alle etwas mehr schonen. Soll ich Ihnen einen Wagen für die Heimfahrt bestellen? Es wäre vielleicht besser.«
»Nein, bitte nicht. Das ist wirklich nicht nötig«, sagte Miss Seeton entschieden. Allein die Vorstellung, auf ein Taxi warten zu müssen, während dieser Mr. Morton weiter so laut redete, war unerträglich. Außerdem schien er fast alles zweimal zu sagen, als ob man schwer von Begriff wäre. Andererseits – er gehörte dem Stadtrat an, und sie wollte gern glauben, daß er viele Reden halten mußte. Wahrscheinlich war das die Erklärung. »Mir fehlt nichts«, sagte sie. »Nur habe ich zufällig starke Kopfschmerzen. Aber ein bißchen frische Luft, und dann sind sie weg.«
»Kopfschmerzen?« Mr. Trefold Morton blickte sie aufmerksam an. »Aber nein, das können wir nicht dulden. Das kommt gar nicht in Frage.« Er nahm einen Bleistift und notierte auf einem Block rasch ein paar Zahlen. Er berechnete irgend etwas, war mit dem Ergebnis
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