Mission Ares
waren mehrstöckige, verwitterte Kästen – sogar noch häßlicher als die Architektur von Houston – mit dem typischen Flair einer Forschungseinrichtung der Regierung. Im Licht der tiefstehenden Morgensonne vermittelte die flache und staubige Anlage dem Betrachter das Gefühl, sich an einem Strand zu befinden.
Hin und wieder sah York hinter der Absperrung Menschen,
›Normalbürger‹, die ihr zuwinkten und applaudierten. Sie fühlte sich wie betäubt und isoliert.
Am östlichen Horizont sah sie die unscharfen Konturen der Startkomplexe, die großen Gerüste, die sich über die Ebene erhoben. Viele der Gerüste waren außer Betrieb und
beschädigt; sie wirkten wie Wracks, die an diese triste Küste getrieben worden waren und nun hier vergammelten – an der Grenze zwischen Meer und Land, die von den Gezeiten ständig neu gezogen wurde.
Der Transporter bog vom Highway auf den Zubringer zur
Startrampe ab.
Plötzlich sah York zum erstenmal an diesem Tag die Saturn: die kraftvolle weiße Nadel in der Mitte, umringt von vier kompakten Feststoff-Boostern. Und das Ganze wurde vom
massiven Gerüst des Startturms umschlossen, der von der
achteckigen Grundfläche der Startrampe aufragte. Die Rakete wurde von Flutlichtern angestrahlt, die das Morgenlicht
überblendeten. Sie sah die Eisschicht auf den kryogenischen Brennstofftanks. Dampfschwaden traten aus der Zentralsäule aus und zogen wie Wolken über den Startkomplex dahin.
Die Sonne kam hinter einer Wolke hervor und färbte den
Himmel orangefarben und golden. Licht spielte über die
Startrampe, und die neben dem Startturm stehende Saturn
schimmerte wie eine Perle.
Der Transporter fuhr bis an das Betonfundament der
Startrampe heran. Die Türen schwangen auf, und Techniker halfen York beim Aussteigen.
Die Saturn ragte vor ihr in den Himmel. Das diffuse Licht der Morgendämmerung verlieh der Rakete eine intensive Präsenz.
Mit den Nieten, die sie zusammenhielten und dem weißen
Anstrich erweckte sie den Eindruck, in Handarbeit gefertigt worden zu sein. Ihre Komplexität, das Von-Menschenhand-gefertigt-Sein, war schier mit Händen zu greifen.
Am Betonfundament der Startrampe war ein Schild
angebracht: GO, ARES!
Sie überblickte die ›Kriechspur‹ von der Montagehalle, dem
∗
VAB , bis hierher. Das Gebäude selbst zeichnete sich als schwarzweißer Quader am Horizont ab, dessen Größe nicht zu bestimmen war. Die ›Kriechspur‹ war ein Pfad aus massiven gelben Steinblöcken, der sich schnurgerade zum VAB in die Unendlichkeit erstreckte; er verlief entlang des Kanals, der eigens für die Lastkähne gebaut worden war, welche die Saturn-Stufen zum VAB beförderten. Sie sah die Spurrillen im Straßenpflaster, wo das Gleiskettenfahrzeug die Saturn zum Startkomplex gebracht hatte. Sie wirkten wie die Fußabdrücke eines Dinosauriers.
Nun wurde ihr erst richtig bewußt, worauf sie sich bei dieser Sache überhaupt eingelassen hatte. Das Ereignis, das sie seit Monaten geprobt und diskutiert hatten, stand unmittelbar bevor. Man würde sie wirklich in der kleinen Kabine an der Spitze dieser Rakete einschließen und in den Weltraum schießen. Mein Gott, sagte sie sich. Sie machen ernst.
In den letzten Wochen war York immer wieder zur
Startrampe hinausgefahren. Sie hatte die Rampe als lauten, betriebsamen Ort erlebt, der einer Industrieanlage ähnelte: mit
∗ VAB = Vehicle Assembly Building: Fahrzeug-Montagegebäude laufenden Maschinen, mit Aufzügen, die an den Starttürmen auf und ab glitten, mit Leuten, die emsig umherwuselten.
Doch heute war ein anderer Tag. Heute gab es außer der
Besatzung und den Technikern keine Menschenseele im
Umkreis von fünf Kilometern.
Nach den vielen Menschen im MSOB und den Blicken, die
sie auf das Millionenheer der Zuschauer auf dem Gelände von Cape Canaveral erhascht hatte, war es für York ein
niederschmetterndes und schreckliches Erlebnis, sich nun im Epizentrum dieser Betonwüste zu befinden, vor sich die
dräuende Masse der Saturn VB. Es war wie eine Begegnung
mit dem Tod.
York, die noch immer das Atemgerät trug und deren einziger Begleiter das Wispern des Sauerstoffs war, folgte Stone zum Aufzugskäfig an der Basis des Startturms.
Vielleicht sehe ich die Erde nun zum letztenmal. Hier und jetzt auf dem versengten Beton. Vielleicht ist das wirklich ein Countdown zum Tod.
Jacqueline B. Kennedy-Raumfahrtzentrum
Die vom Atlantik wehende Brise blähte die Flaggen hinter den hölzernen Absperrungen
Weitere Kostenlose Bücher