Mission Ares
biowissenschaftliches Ergebnis auch nichts einzuwenden gewesen. Wenn irgendein Vieh auf Siliziumbasis vor der verdammten russischen Kamera herumgehopst wäre, würden wir schon morgen zum Mars fliegen. Ein fossiler Trilobit hätte aber auch schon genügt.
Sie erinnerte sich an die unscharfen Bilder von Mariner 4.
Und an die erstaunlichen Bilder von Phobos und Olympus
Mons, die von Mariner 9 stammten. Durch diese Sonden hatte die Menschheit in den letzten zehn Jahren mehr über den Mars gelernt als im Verlauf der bisherigen Geschichte. Sie war froh, in einer solchen Zeit zu leben, wo so viele alte Geheimnisse gelüftet wurden.
Glücklich. Vielleicht.
Doch es war, als ob sie den Lockruf des Mars hörte.
Sie legte die Berichte aus der Hand. Sie mußte aufhören, sich selbst etwas vorzumachen. Dieses Tröpfeln von Daten war nicht genug. Sie wollte die nächsten dreißig Jahre nicht so verbringen, wie sie die letzten drei verbracht hatte: über körnigen Mariner-Bildern brüten und Hypothesen aufstellen, die zu beweisen sie nie imstande sein würde. Ich will zum Mars fliegen, verdammt. Ich will mich mit allen vieren auf den steinigen Boden niederlassen, einen Graben ausheben und die behandschuhten Finger in die Erde graben. Ich will den rosigen Himmel und die Zwillingsmonde sehen, den Gipfel von Olympus Mons besteigen und an der Kante des Volles Marineris stehen…
Der Mars, der Zug um Zug seine Geheimnisse preisgab, übte einen verführerischen Reiz auf sie aus. Ihr wurde nun bewußt, daß Ben das schon früher erkannt hatte als sie selbst. Ganz zu schweigen von Mike, der ohnehin kaum über seinen eigenen Tellerrand hinausblickte.
Doch der Traum, die Ambitionen an sich, waren nicht das
Problem. Das Problem war, daß sie als ›Seiteneinsteiger‹ eine Chance hatte, zum Mars zu fliegen. Ben wurde nicht müde, ihr zu erzählen, daß sie das richtige Alter und die richtige Qualifikation hätte, um sich bei der NASA zu bewerben.
Das Problem war, daß sie es vielleicht wirklich versuchen würde. Doch in dem Moment, wo sie in die NASA eintrat und zum Mars zu fliegen versuchte, würde sie ihr ganzes Leben wegwerfen. Sie würde wieder zur Schule gehen und ein ebenso endloses wie sinnloses Training mit diesen Arschlöchern von der NASA absolvieren müssen, und sie würde vielleicht ein paar Jahre im Erdorbit verbringen und Arbeiten verrichten müssen, die mit ihrer eigentlichen Ausbildung nichts zu tun hatten.
Und es würde wahrscheinlich auch bedeuten, daß sie nie
Kinder haben würde.
Wollte sie das alles wirklich opfern und sich einer solchen Strapaze unterziehen, nur für die vage Chance, auf den Hängen von Tharsis umherzuspazieren?
Doch es juckte sie in den Fingern, im Dreck zu wühlen und die lockere Kruste der Marsoberfläche abzutragen.
Am nächsten Tag wollte sie sich mit Mike treffen. Sie hatte in Los Angeles ein Hotelzimmer reserviert, das ihnen für einige Zeit als Liebesnest dienen sollte.
Nach der letzten Nacht hatte sie jedoch ein schlechtes Gefühl wegen der Besprechung oder Verabredung oder wie auch immer sie es in diesem Stadium der Beziehung zu Mike nennen sollte. Aber dann entschied sie sich doch, ihn zu besuchen; sie glaubte, keine andere Wahl zu haben.
Vor dem Abschied kramte Ben einen Zettel aus der
Jackentasche. »Hier«, sagte er. »Für dich.«
Achtzehn Stunden später, im Hotelzimmer in LA, massierte York die Spannung aus Mikes Schultern, und schließlich schlief er ein.
York hingegen lag hellwach da.
Sie war steif und fror ein wenig, und die zerknitterten Laken drückten im Rücken. Die wohltuende Wirkung der Schnäpse aus der Mini-Bar war verflogen, und nur ein schaler
Nachgeschmack geblieben.
Über eins mußte sie mit Mike noch reden.
Sie öffnete die Nachttischschublade und holte Bens Zettel heraus.
Im weichen Glühen der Lichtsplitter an der Decke vermochte sie den Text nicht zu lesen, erkannte aber ein paar Bilder: das berühmte Foto von Joe Muldoon auf dem Mond, die behandschuhte Hand auf der Brust, und kleine schematische Grafiken von Raumschiffen, die im Sonnensystem umherflogen. An der Rückseite war ein Bewerbungsbogen zum Abtrennen; sie fuhr mit dem Finger über die Perforation.
Der Handzettel war im Auftrag der NASA von der
Nationalen Akademie der Wissenschaften herausgegeben
worden und hatte den Titel ›Verwendungsmöglichkeiten für Wissenschaftler als Astronauten‹. Er malte die Zukunft im All in leuchtenden Farben: erweiterte Laboratorien im Erd-und
Weitere Kostenlose Bücher