Mission Munroe 03 - Die Geisel
an kleinen Bunsenbrennern, beugten sich über Wachsmodelle und Skalpelle. Hier wurde Gold in allen erdenklichen Formen verarbeitet. Niemand sah auf, als sie vorbeigingen, und Munroe spürte, dass in der zur Schau gestellten Gleichgültigkeit eine Mischung aus Angst und Gewöhnung lag, als seien schmutzige Kriegsgefangene in dieser Goldschmiedewerkstatt ein durch und durch alltäglicher Anblick.
So schnell, wie diese surreale Szenerie aufgetaucht war, war sie auch wieder verschwunden. Der Narbige, den der Sprecher Arben genannt hatte, und sein immer noch namenloser Partner, bauten sich als Wachposten links und rechts neben einer Tür auf. Arben öffnete sie und bedeutete Munroe mit einer Kopfbewegung einzutreten. Sie zögerte. Der junge Mann ging an ihr vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Munroe trat ebenfalls ein. Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss, und sie blieb stehen.
Das gesamte Zimmer war vom Boden bis zur Decke vollgestopft mit Porzellanpuppen. Sie saßen, lagen oder standen in Regalen an jeder Wand, in Glaskästen, auf Stühlen und Podesten: klein oder lebensgroß, handbemalt oder sprühlackiert, aufwendig gekleidet mit wächsernen Haaren, gelockt und zurechtgemacht. Sie alle starrten sie an – mehr leblose Augenpaare, als sie zählen konnte. Jede Puppe war in perfektem Zustand, allesamt Sammlerstücke ohne jeden Makel. Nicht einmal ein Staubkörnchen war zu entdecken.
Ansonsten sah es aus wie in jedem anderen Büro. An den Armaturen, dem Fenster und dem darunter befestigten Heizkörper ließ sich eindeutig erkennen, dass sie sich nicht in Texas und auch nicht sonst irgendwo in den Vereinigten Staaten befand. Europa. Wahrscheinlich auf dem Balkan, wenn sie von den Sprachen ausging, die sie in dem großen Saal gehört hatte. Dafür sprachen auch die alte Steinarchitektur und die Andeutung eines Innenhofs draußen vor dem Fenster. Allerdings wurde der Blick nach draußen von einem Mann verdeckt.
Er saß an seinem Schreibtisch, die Hände auf der Tischplatte gefaltet, während die Morgensonne seinen Kopf von hinten beschien und sein Gesicht dadurch im Schatten lag. Munroe nickte zur Begrüßung. Er erwiderte ihr Nicken, und wenn sie es richtig interpretierte, dann lächelte er.
Er stand auf und ließ die Jalousien herunter, sodass Munroe nicht mehr länger die Augen zusammenkneifen musste und trotzdem nur seine Silhouette sah. Anschließend bot er ihr in einwandfreiem, akzentfreiem Englisch einen Platz an. Sein Lächeln war freundlich, seine Manieren kultiviert, und während Munroe erneut nickte und Freundlichkeit mit Freundlichkeit erwiderte, überlegte ihre triebgesteuerte Gehirnhälfte, wie groß die Wahrscheinlichkeit sein mochte, dass der Fensterrahmen verstärkt und das Glas kugelsicher war, und wie schwer es sein konnte, ihn so zu rammen, dass sie beide zum Fenster hinausstürzten und auf dem Kopfsteinpflaster des Innenhofs landeten.
Er folgte ihrem Blick, der von den Puppen zum Fenster und wieder zu den Puppen zurück huschte, und sagte, als hätte er ihre Reaktion verkehrt herum verstanden: »Sie sind wunderschön, nicht wahr?«
Munroe reagierte mit einem schiefen Lächeln.
Der Puppenmann erhob sich und trat an das Regal zu ihrer Linken. Er fing neben dem Fenster an und schritt, die Hände auf dem Rücken verschränkt wie ein General beim Abnehmen einer Truppenparade, das Regal ab. Gelegentlich blieb er bewundernd stehen, und ab und zu streckte er die Hand aus, um eine Locke zu berühren oder ein Kleid neu zu arrangieren.
Er war knapp einssiebzig groß und sehr schmal gebaut. Wäre er eine Frau gewesen, hätte man ihn wohl zierlich genannt. Er war tadellos gekleidet. Sein Anzug war sicherlich maßgeschneidert, seine Krawatte perfekt gebunden, seine Schuhe auf Hochglanz poliert. Das dünner werdende Haar und die zahlreichen Altersflecken auf seiner Hand deuteten auf ein Alter von Mitte, Ende sechzig hin, aber aufgrund seiner Haltung und der beherrschten Energie, die er ausstrahlte, wäre es ein Fehler gewesen, ihn als alternden Mann zu betrachten.
»Vollkommenheit«, sagte er, während seine Finger zarte Spitze streichelten. Seine Stimme war sanft und voller Bewunderung. »Sie sind ohne jeden Makel, nur reinste Schönheit.« Er hielt inne und flüsterte, ohne den Blick von den Puppen zu nehmen: »Nur reinste Schönheit.«
Der Mann drehte sich zu Munroe um, und seine Stimme nahm wieder Zimmerlautstärke an. »Ich habe noch andere«, sagte er. »Aber das hier sind meine Lieblinge. Ich
Weitere Kostenlose Bücher