Mission Munroe - Die Touristin: Thriller (German Edition)
Schiffsflur.
Langsam ließ sich Beyard an der Wand herab auf den Fußboden gleiten, ein Knie angezogen, das andere Bein quer über den Flur gestreckt. Seine Schultern waren nach vorne gesackt. Er hatte die Hand über die Augen gelegt und wurde von stummen Schluchzern geschüttelt. Munroe stand vor ihm, schockiert und bis ins Mark erschüttert. Erst in diesem Augenblick hatte sie verstanden.
Sie ließ sich neben ihm zu Boden gleiten und lehnte den Kopf an seine Schulter. Die Vergangenheit überwältigte sie, die Erinnerung an unzählige Ereignisse und all die Zeichen, die sie übersehen hatte, weil sie nur damit beschäftigt gewesen war, Willem aus dem Weg zu gehen.
»Francisco«, sagte sie, »es tut mir furchtbar leid. Ich hatte doch keine Ahnung.«
Er legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie an sich, hielt sie so fest umklammert, dass sie morgen früh ein paar blaue Flecken haben würde. Sein heißer Atem strich ihr über die Haare, den Hals, und die letzten Tränen benetzten ihre Haut. Sie ließ sich an ihn sinken. Die Zeit verging, die Gefühle zogen sich langsam zurück. Als er sich wieder halbwegs im Griff hatte, sagte Beyard: »Warum hast du das gemacht? Warum bist du einfach so weggegangen?«
Ihre Stimme war kaum noch ein Flüstern. »Ich musste dem entkommen, was ich geworden wäre.«
»Du hättest mir Bescheid sagen können, du hättest dich verabschieden können, mich wenigstens wissen lassen, ob alles in Ordnung ist.«
»Ich will gar nicht behaupten, dass das richtig war, aber wenn ich dir Bescheid gesagt hätte, hättest du mich angefleht zu bleiben, das weißt du so gut wie ich.«
»Jede Nacht habe ich von dir geträumt«, sagte er. »Meine größte Angst war, dass Pieter dich mitgenommen hat, aus reiner Gehässigkeit. Jede Nacht habe ich mich daran erinnert, wie oft du mich angefleht hast ihn wegzuschicken, wie oft ich mich geweigert habe.« Beyards Stimme wurde rau, und er atmete einmal tief durch, bevor er fortfuhr. »Als ich erfahren habe, dass du Afrika verlassen hast, da habe ich dich gehasst. Weil mir ununterbrochen übel war wegen dir. Seltsamerweise war ich gleichzeitig auch glücklich, weil ich wusste, dass du lebst und dass du selbst diese Entscheidung getroffen hast und nicht Pieter.«
»Willem ist tot«, sagte Munroe. »An dem Abend, als ihr beiden euch gestritten habt, bin ich ihm zu den Booten gefolgt. Ich habe ihm die Kehle durchgeschnitten und ihn an den Dschungel verfüttert.«
Beyard ließ sie los, dann stieß er sie von sich weg und drehte sie um, sodass er ihr in die Augen schauen konnte. Sein vor Schreck weit aufgerissener Mund verzog sich langsam zu einem ungläubigen Lächeln.
»Warum solltest du so etwas tun?«, fragte er schließlich.
»Weil er ein sadistischer Psychopath war. Damit habe ich mich nicht nur für die tagtäglichen Qualen und die Vergewaltigungen gerächt, sondern außerdem seine zukünftigen Opfer vor Gleichem oder noch Schlimmerem bewahrt. Danach bin ich mit seinem Boot nach Kamerun gefahren … ich habe es südlich von Douala versenkt. Wahrscheinlich liegt es immer noch da.« Sie unterbrach sich. »Ich musste einfach gehen, Francisco. Sonst wäre ich genauso ein Monster geworden wie er.«
Beyard schwieg für einen Moment, und während die Stille sich über den Korridor legte, sickerte die volle Wucht ihrer Worte in sein Bewusstsein. Er zog sie an sich und hielt sie fest. »Das wusste ich nicht, Essa, ich schwöre. Im Nachhinein denke ich, ich hätte es sehen müssen, aber damals habe ich es nicht bemerkt.«
»Ich weiß«, erwiderte sie. »Und ich habe mir nichts anmerken lassen, weil ich wusste, dass du versucht hättest mich zu beschützen, und das hätte dich das Leben gekostet.«
»Er hat immer gesagt, dass es ihm Spaß macht, mit dir zu trainieren, dass er dadurch gezwungen ist, wachsam zu sein. Dass du im Umgang mit dem Messer genauso begabt bist wie im Umgang mit Sprachen.«
»Oder genauso gestraft«, sagte sie.
»Hast du sie immer noch dabei?«
»Die Messer? Nein. Mit einem Messer in den Händen ist die Gefahr zu groß, dass ich jemanden umbringe.« Sie blickte auf ihre Handflächen, fühlte das Blut, das daran klebte, und ballte die Fäuste. »Ich trainiere noch, um meine Reflexe nicht zu verlieren, aber sogar Übungsmesser können gefährlich werden, wenn sie in falsche Hände geraten. Immer wenn ich kämpfe, und sei es nur im Training, kommt dieser Drang in mir hoch, zu töten und zu gewinnen. Willem ist nicht der Einzige, den
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