Mister Mädchen für alles
Abschied einen Kuss zu geben.
Als sie jetzt die Ausweise aus der Schublade in Max’ Arbeitszimmer holte, dachte sie darüber nach, wie sehr sie so etwas hasste. Ihren Kindern zum Abschied einen Kuss zu geben, war wie ein Punkt, den man ans Ende eines Satzes setzte. Und wenn sie es nicht tat, hatte sie ständig das Gefühl, etwas nicht beendet zu haben. Aber wenn es ihnen nichts ausmachte, weshalb sollte sie sich daran stören? Sie warf einen kurzen Blick auf die Unterlagen auf Max’ Schreibtisch. Wieder einmal lag dort ein dickes Drehbuch. Wie es aussah, handelte es sich um ein Fernsehdrama. Auf der Titelseite prangten die Worte
Grass Roots
– und darunter der Name der Autorin, Greta Dunant. Ein Name, den Saff von irgendwoher kannte. Es musste gut sein, wenn es Max vorgelegt worden war, denn nur erfolgversprechende Drehbücher landeten auf seinem Schreibtisch. Früher hatte er ihr die Skripte zu lesen gegeben und sie um ihre Meinung gebeten, doch seit die Abende mit Hausaufgaben, Musizieren und anderen Aktivitäten angefüllt waren, hatte sie dafür keine Zeit mehr. Sie schloss die Tür hinter sich. Das war wirklich schade, sie hatte es genossen, mit einbezogen zu werden.
Zwanzig Minuten später hatte sie sämtliche Pflanzen ins Badezimmer geschleppt und auf feuchtes Zeitungspapiergestellt. Sie vergrub die Nase in den Zwergosterglocken, die gerade aufgeblüht waren und süß dufteten, und war ein wenig traurig, dass sie die ganze Fülle ihrer Blüte nicht erleben würde, weil sie wegfuhren. Max hatte darauf bestanden, im März Skiferien zu machen, weil ihm das aus beruflichen Gründen besser passte. Zu Beginn des Jahres wurden neue Fernsehshows und -programme auf den Markt gebracht, und im April war die internationale T V-Verkaufskonferenz in Frankreich. Während Saffron die farbenfrohen Töpfe mit den Frühlingsblumen zusammenstellte, wurde ihr bewusst, dass sie viel lieber im Januar weggeflogen wäre, bevor die Schneeglöckchen ihre Köpfe aus der Erde steckten. Dann hätte sie die prächtige Frühlingsblüte nicht verpasst.
«Het? Hier ist Saffron.» Saff zog die Wäsche aus der Maschine, während sie – das Telefon ans Ohr gepresst – mit ihrer Nachbarin sprach. «Ja, es ist so weit alles gepackt, danke … Ja, ich kann es kaum erwarten, loszufliegen und mich in den Schnee zu stürzen. Ganz ehrlich, ist es immer noch in Ordnung für Sie, den Hamster zu füttern? … Sicher? Ich habe Futter und Streu neben den Käfig gestellt … großartig. Dafür bringe ich Ihnen Schweizer Schokolade mit … wie bitte? Nein! Ich halte mich schön an den Glühwein, sonst passe ich nicht mehr in meine Skihosen. Bis dann. Vielen Dank, tschüss.»
Sie leerte den Trockner, faltete die warmen Hosen und Unterhemden zusammen, belud die Maschine mit der nassen Wäsche, stellte den Wasserkocher an und griff dann erneut zum Telefon.
«Hallo, liebe Ranke, hier spricht Saffron. Wie geht es Ihnen?»
«Meine Liiiiebe.» Alex’ Mutter zog das Wort theatralischin die Länge. «Wie reizend, von Ihnen zu hören! Wann werden Sie mich besuchen kommen?»
Saff musste lächeln, als sie sich vorstellte, wie die Ranke für ihre Besucher Hof hielt. «Oh, ich komme bald vorbei, versprochen, aber wir fliegen morgen früh nach Courchevel zu unserem alljährlichen Skiurlaub. Ich werde es also erst schaffen, wenn wir wieder zurück sind.»
«Lassen Sie mich nicht zu lange warten, meine Liebe.»
«Werden Sie denn gut umsorgt?»
Saff hörte ein höhnisches Schnauben. «Es ist einfach schockierend», flüsterte sie laut.
«Aber … ich dachte, Alex hätte jemand Wunderbares gefunden, die alle Aufgaben übernimmt. Sie sagte, sie sei geradezu perfekt.»
«Meine Gute, Sie kennen Alex nun schon seit Jahren.» Sie klang, als spreche sie, ohne die Lippen zu bewegen. «Sie wissen genauso gut wie ich, was für eine mangelhafte Menschenkenntnis sie manchmal an den Tag legt. Sie natürlich ausgenommen, Liebes. Aber ihre Männer! Und ihr Jetziger! Haben Sie den schon kennengelernt? Er sieht wie Superman aus, allerdings ohne das Charisma. Weiße Zähne und schwellende Brustmuskeln, aber ungefähr so viel Stil wie ein Laternenpfahl.»
Saff konnte nicht anders und kicherte los. «Oh, Sie sind gemein! So schlimm ist er doch gar nicht.»
«Na ja – eine unwesentliche Verbesserung gegenüber dem letzten Modell, aber schlimmer ging es ja wirklich nicht.» Wieder senkte sie ihre Stimme zu einem tiefen, rauchigen Tuscheln. «Aber diese Ella. Sie
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