Mister Mirakel
unsere Zweitköpfe, oder?«
»Das versteht sich.« Dave drehte den Kopf. »Reich unsere mal rüber.«
Johnny sagte nichts. Er saß starr auf seinem Platz und hielt den Kopf gesenkt. Der Blick war dabei auf seine Knie gerichtet. Es ärgerte ihn, daß er nicht in der Lage war, normal und klar zu denken. Die Gefühle drängten einfach zu stark in ihm hoch und überschwemmten die rationale Seite des Gehirns.
Eine Gefahr bahnte sich an. Er wußte, daß etwas Schreckliches passieren würde und sie wie unter einer Zwangsjacke steckten, aus der sie sich schlecht befreien konnten.
Immer wieder kam ihm die Szene in den Sinn, wie sie mit diesem Mister Mirakel gesprochen und sich seine ›Kunstwerke‹ angesehen hatten. Bemalte Kürbisse. Rot, blau, grün und schwarz. Schreckliche Fratzen mit genügend großen Öffnungen, damit sie auch auf die Köpfe der Menschen paßten. Glatt geschmirgelt, ohne Unebenheiten, bis auf eine Ausnahme.
Und die legte ihm Dave in den Schoß.
Johnny schrak zusammen, als er das Gewicht spürte. Der Kürbis lag so, daß er auf dessen Fratze mit den leicht geschlitzten Augen schauen konnte. Ein böses, widerliches Gesicht, in dem sich alle Grausamkeiten der Geisterwelt zu vereinen schienen. Die säbelartigen Zähne bewegten sich nicht. Johnny stellte sich plötzlich vor, wie diese Zähne sich bewegten und brutal in das Fleisch eines Menschen drangen, damit das Maul Blut schlürfen konnte.
Er strich mit den Fingern über die knorrigen Auswüchse hinweg. Sie waren trotz der Glasur zu spüren.
»He, du hast den besten!« Dave stieß ihn an.
»Meinst du?«
»Klar.«
Johnny holte tief Luft. Er schaute durch die Scheibe in den Nebel. Nur schwach waren die Umrisse der Dünen zu sehen. Sie sahen aus wie zu Sand gewordene Wellen, über die graue Schleier hinwegtrieben.
»Ich gehe jetzt raus«, sagte Marc und öffnete die hintere Tür. »Da könnt ihr machen, was ihr wollt.«
»Los, wir auch, Johnny.«
»Klar.«
Er folgte Daves Aufforderung, der noch den Wagen abschloß. Die Freunde hielten ihre Kürbisse in den Händen. Jeder wartete auf den anderen, daß er damit begann, das Ding über den Kopf zu stülpen.
Dave setzte seine rote Maske als erster auf. Marc folgte seinem Beispiel. Sie sprachen dabei kein Wort, und auch Johnny hielt sich zurück, als er seinen Kürbis über den Kopf stülpte. Kaum saß er fest, hörte er das leichte Rauschen in seinen Ohren, und er wunderte sich darüber, wie gut er durch die Augenschlitze sehen konnte.
»Gehen wir?« Daves Stimme klang normal wie immer.
»Ja!« sagte Johnny. »Wir gehen. Tyneham und Mister Mirakel warten auf uns…«
***
Es war eine verdammt miese Fahrt gewesen. Unsere Hoffnung auf ein Zurückweichen des Nebels hatte sich nicht erfüllt. Das Gegenteil war eingetreten. Je mehr wir in Richtung Süden fuhren, um so dichter war die Brühe geworden. Hätten wir für jeden unserer Flüche auch nur eine Pfundnote bekommen, wären wir fast reich gewesen.
Es war kein normales Fahren mehr, es war ein Tasten. Zumindest im größten Teil der Strecke. Hin und wieder hatten wir auch das Glück, einige Kilometer nebelfrei fahren zu können. Leider waren es zu wenige. Nichtsdestotrotz hatten wir uns durchgekämpft und die Küste so gut wie erreicht.
Über Handy hatte Bill zweimal mit Sheila telefoniert und erfahren, daß auch in London so einiges nicht mehr lief. Die Stadt war zu einem Schatten ihrer selbst geworden.
Mit dem Fahren hatten wir uns abgewechselt, zweimal an einer Tankstelle etwas Proviant und auch einige Dosen Wasser und Orangensaft eingekauft.
Ich fuhr die restliche Strecke. Neben mir saß Suko. Er war hellwach und schaute sich ebenso um wie ich, aber die grauen Wände nahmen uns die Sicht auf die Natur zu beiden Seiten der Straßen. Wir kamen uns vor wie in einem Stollen, der nie enden wollte.
Auf den letzten Kilometern hatten wir keinen Gegenverkehr erlebt. Zumindest ein kleiner Vorteil. Bill konnte es einfach nicht verstehen, daß sein Sohn und dessen Freunde bei diesem Wetter losgefahren waren. Er nahm sich vor, Johnny die Meinung zu sagen.
Natürlich spukte uns dieser Mister Mirakel in den Köpfen herum. Unwillkürlich hatten wir nach ihm Ausschau gehalten, doch keine Spur von ihm entdeckt. Der Nebel war somit zu seinem idealen Komplizen geworden. Aber wir merkten, daß sich die Umgebung veränderte. Die Wand trat an den beiden Straßenseiten zurück. Bei klarer Sicht hätte sich die Natur wirklich wie ein Trichter geöffnet, an
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