Mit deinen Augen
Wurm . Gib mir’nen Schuss Cuervo Gold, Jerry Baby.«
Jerry wischt die Alkoholflaschen ab und macht dabei möglichst viel Lärm.
Wie oft hat Joanie dieses Lied gesungen? So bestellt sie nämlich immer ihren Tequila.
»Gib mir zwei von allem«, schreit Scottie, die jetzt ganz in der Rolle ihrer Mutter aufgeht. Ich fühle mich verpflichtet, Jerry beizuspringen, schaffe es aber nicht. Er muss allein mit der unangenehmen Situation fertig werden. Ich kann im Moment nichts tun.
»Welche Songs magst du sonst noch?«, fragt er. »Vielleicht willst du ja noch einen singen.«
Ich blicke zur Decke, beobachte, wie die Ventilatoren die Luft umrühren. Die Sonne bescheint meine rechte Seite, weshalb ich tiefer in meinen Sessel sinke. Ich starre in die Zeitung, die ich ja angeblich schon die ganze Zeit lese, und versuche es mit der wöchentlichen Kolumne »Creighton Koshiro’s Kidz«. Da geht es immer um das Leben der Kids hier auf der Insel, um die Jugendlichen, die den Aloha-Spirit verkörpern und einen guten Schulabschluss machen, die irgendetwas Ungewöhnliches leisten, zum Beispiel einen Marathonlauf ohne linkes Bein, oder etwas Wohltätiges tun und ihr ganzes Taschengeld irgendwelchen Mädchen in Zimbabwe spenden. Ich mag diese Kolumne nicht, so wenig wie ich Autoaufkleber mag, die damit prahlen, dass in dem Wagen ein Schüler mit erstklassigen Noten sitzt.
Ich höre Scotties Stimme und lasse die Zeitung wieder sinken. Meine Tochter schaut über die Schulter auf ihr Hinterteil und schwenkt es hin und her. »So hab ich das gern, so bleibt man in Schwung!«
Jetzt reicht’s. Ich will gerade aufstehen, da sehe ich, dass Troy an den Tresen kommt. Der große, großherzige, goldene Troy. Schnell verstecke ich mich wieder hinter meiner Zeitung. Meine Tochter ist auf einmal ganz still.Troy hat ihr Geplapper abgewürgt. Ich bin mir sicher, er hat gezögert, als er sie sah, aber es ist zu spät, jetzt kann er nicht mehr zurück.
»Hallo, Scottie«, höre ich ihn sagen. »Schön, dich zu sehen.«
»Schön, dich zu sehen«, erwidert sie. Ihre Stimme klingt komisch. Fast nicht zu erkennen. »Du siehst sehr wach aus. Bitte lächeln!« Ich höre das Klicken der Kamera.
»Oh, danke, Scottie.«
Oh, danke, Scottie.Troy ist so lahm. Sein Urgroßvater hat den Einkaufswagen erfunden, und deshalb bleibt Troy nicht viel anderes übrig, als mit vielen Frauen zu schlafen und meine Frau ins Koma zu befördern. Es ist nicht seine Schuld, aber ihm ist nichts passiert. Es war ein alljährliches Rennen, an dem Joanie und Troy gemeinsam teilgenommen haben. In einem vierzig Fuß langen Rennkatamaran, und Joanie war die einzige Frau bei diesem Wettkampf. Troy hat mir erzählt, sie waren bei Kehre Nummer acht direkt hinter einem anderen Boot, und er hat versucht zu überholen. Er hatte aber nicht genug Platz und musste nach links ausscheren, um Kurs halten zu können.
»Was heißt das, du hast versucht zu überholen?«, fragte ich Troy.
»Ich war der Lenker«, sagte er. »Joanie war diesmal der Throttleman, der Gasgeber. Ich wollte unbedingt steuern.«
Sie umrundeten gerade eine Meilenmarkierung, als Troy erneut versuchte, an dem anderen Boot vorbeizukommen, aber dann wurden sie von einer Welle gepackt und ins Schleudern gebracht, und Joanie ging über Bord. Sie atmete nicht mehr, als die Rettungstaucher sie aus dem Wasser holten. Als Troy nach dem Rennen an Land kam, sagte er immer wieder: »Zu rau, zu wellig. Zu rau, zu wellig.« Er war das erste Mal am Steuer, sonst sitzt da immer Joanie.
»Hast du sie schon besucht?«, fragt ihn Scottie.
»Ja. Dein Dad war auch da.«
»Was hast du zu ihr gesagt?«
»Ich habe ihr gesagt, dass das Boot gut in Schuss ist. Und dass es auf sie wartet. Und dann habe ich ihr noch gesagt, dass sie sehr tapfer ist.«
Dieser Vollidiot. Ich hasse es, wenn Leute sagen, man sei tapfer, obwohl man nur mit Mühe und Not irgendwie durchkommt. Joanie fände das auch total schwachsinnig.
»Ihre Hand hat sich bewegt, Scottie. Ich glaube, sie hat mich verstanden.«
Troy trägt kein Hemd. Dieser Typ hat Muskeln, von denen ich nicht mal wusste, dass sie existieren. Er ist sportlich, reich und dumm, und seine Augen haben die gleiche Farbe wie ein Hotelswimmingpool. Genau der Typ Mann, mit dem Joanie gern Freundschaft schließt.
Ich will die Zeitung sinken lassen, aber da höre ich meine Tochter sagen: »Der Körper hat natürliche Reaktionen. Wenn man einem Huhn den Kopf abhackt, läuft es immer noch durch die Gegend,
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