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Mit deinen Augen

Mit deinen Augen

Titel: Mit deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaui Hart Hemmings
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sein, und der Arzt sagt auch, wir sollen ruhig fahren. Er findet es gut für die Mädchen, also versuche ich, mich auf die Reise zu freuen.Vielleicht können wir die Zeit ja sinnvoll miteinander nutzen und uns bewusst machen, dass wir von jetzt an nur noch zu dritt sein werden. Ich wünsche mir ein Erfolgserlebnis.
    Ich komme aus dem Schrank und sehe die Mädchen zögernd ins Schlafzimmer kommen.
    »Wir sind fertig mit Packen«, sagt Scottie.
    »Also dann - auf geht’s«, sage ich und will schon hinaus auf den Flur.
    Die Mädchen rühren sich nicht vom Fleck.
    Sie begutachten mein Zimmer, das Zimmer ihrer Mutter. Ihr Blick fällt auf die Betthälfte, in der ihre Mutter immer geschlafen hat.
    Damit sie ein bisschen länger bleiben können, mache ich mir an der Kommode zu schaffen und tue so, als müsste ich noch ein paar Sachen zusammensuchen. Die Vögel draußen machen einen Höllenlärm. Sie hocken auf dem Banyanbaum und fechten ihre Territorialkämpfe aus. Einer wird ständig weggeschubst, fliegt aber jedes Mal stur an dieselbe Stelle zurück. Die Sonne taucht die Ko’olau-Bergkette in gleißendes Licht, und von Waimanalo ziehen Wolken zu uns herüber, wodurch sich in unserem Tal die Hitze staut.
    »Wenn du unser Land verkaufst, können wir dann die Villa von Doris Duke kaufen, und ich kann mir meinen eigenen Samoaner anstellen?«, fragt Scottie.
    »Nein«, sage ich.
    »Kann ich Moms Diamanten haben?«
    Ich drehe mich um und sehe, dass Scottie auf dem Bett sitzt und in Joanies Nachttischschublade wühlt. Sie fotografiert den Inhalt, und ich komme mir vor wie an einem Tatort.
    »Nein, du kannst die Diamanten nicht haben«, sagt Alex.
    »Wieso nicht?«, fragt Scottie.
    »Weil du ein egoistisches kleines Monster bist und die Diamanten sofort implodieren würden, wenn sie deine eklige Haut berühren.«
    »Alex!«
    »Na ja - wenn sie so widerliche Fragen stellt. Mir egal, dass sie erst zehn ist. Ich habe mit zehn mein erstes Bier getrunken. Sie kann langsam mal erwachsen werden. Und hör auf, dauernd zu knipsen! Warum fotografierst du das alles? Willst du dich später daran erinnern?«
    »Ja«, sagt Scottie. »Wenn Mom zurückkommt, frag ich sie selbst.« Sie legt die Kamera und das Foto auf den Nachttisch und schließt die Schublade. Falsche Perlen und echte Perlen. Falsche Diamanten und echte Diamanten.Verschlungene Halsketten glitzern auf dem Foto. »Gehen wir«, sage ich. »Die nächsten Tage werden ein Wettlauf mit der Zeit. Wir dürfen uns nicht verzetteln.«
    »Weshalb wird es ein Wettlauf mit der Zeit?«, will Scottie wissen.
    Ich überhöre die Frage und gehe mit energischen Schritten den Gang zur Garage hinunter. Die Mädchen kommen zankend hinterher. »An der Xbox schieße ich immer auf fiese Schlampen, also pass lieber auf, was du sagst«, sagt Scottie.
    »Wahnsinn«, sagt Alex, »du bist so ein Spasti. Nimm Ritalin.«
    »Nimm du doch was gegen Akne«, sagt Scottie. »Du hast am Kinn einen Vulkan, der demnächst ausbricht wie der Mauna Kea.«
    »Der Mauna Kea ist erloschen, du Arschloch.«
    »Dein Arschloch ist erloschen.«
    »Du weißt ja nicht mal, was das heißt, Scottie.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Ruhe!«, schreie ich und fühle mich wie mein Schwiegervater. Ich verstaue unser Gepäck im Kofferraum, bin genervt und überlege gleichzeitig, was ich mit Joanies Diamanten, Schmuck und Kleidern machen soll. Natürlich kann Scottie ihre Diamanten haben. Die Frage ist total vernünftig, aber Scottie gegenüber kann ich nicht zugeben, dass es in Ordnung war zu fragen.
    »Wo ist Sid?«, frage ich. »Warum muss ich dauernd fragen, wo dieser Idiot steckt?«
    »Sag nicht Idiot zu ihm«, sagt Scottie.
    Sid kommt zur Hintertür heraus.
    »Hast du abgeschlossen?«, frage ich.
    Er kehrt um, und ich achte darauf, dass er auch wirklich abschließt.
    »Beifahrersitz!«, ruft Scottie, aber Alex öffnet die Vordertür und setzt sich rein. Scottie bekommt einen Tobsuchtsanfall, bis ich Alex zwinge, sich nach hinten zu setzen. Bevor Scottie einsteigt, sage ich zu Alex: »Haben wir nicht gerade darüber geredet, dass du mir hilfst? Du benimmst dich wie ein blödes Huhn. Reiß dich bitte zusammen.«
    Ich sitze am Steuer und starre auf den Krempel in unserer Garage. So viel Zeug, das aussortiert und verteilt werden muss, so viel Anlass zum Streiten.
    Sid klettert auf den Rücksitz.Von ihm geht eine Wolke von Zigarettenqualm und gerade gerauchtem Marihuana aus, so stark, dass ich mich selbst gleich ganz high fühle.

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